Muslimischer Antisemitismus?

In Neuseeland hat der Vorsteher der größten Moschee des Landes in Auckland einen bösen Verdacht über das Attentat von Christchurch und den Attentäter geäußert:

MoscheeVorsteherTweetJulieLenarz
Der Artikel ist hier nachzulesen. Er soll wörtlich vor 1000 Menschen über das Attentat von Christchurch und den Attentäter gesagt haben:

I will not mince my words. I stand here and I say that I have a very, very strong suspicion that there is some group behind him, and I am not afraid to say that I feel that the Mossad is behind this

Ich werde kein Blatt vor den Mund nehmen. Ich stehe hier und ich sage, dass ich einen sehr, sehr schweren Verdacht habe, dass es irgendeine Gruppe hinter ihm gibt, und ich habe keine Angst zu sagen, dass ich fühle, dass der Mossad dahintersteckt

Das ist natürlich eine sehr kühne, buchstäblich eine gefühlte Aussage. Ein bisschen mehr als ein Gefühl ist schon notwendig, wenn man eine so schwerwiegende Behauptung in die Welt setzt. Sonst ist es tatsächlich nur ein gefährliches Ressentiment.

Fakten, Fakten, Fakten

1. Das Tatvorbild

Unmittelbar nach dem Attentat wurde in zahlreichen Publikationen von der Mainpost über die Tagesschau, den Spiegel bis zur New York Times die Parallele zum Attentat von Anders Breivik in Norwegen gezogen:

Breivik1
Hat Breivik auch viele Muslime beim Freitagsgebet erschossen? Nein, hat er tatsächlich nicht. Er zündete eine Bombe im Regierungsviertel und erschoss sozialdemokratische norwegische Jugendliche. Tatsächlich fällt mir spontan gar kein großes Attentat in einem westlichen Land ein, bei dem ein Attentäter einen Massenmord an betenden Muslimen verübt hätte, aber meine Erinnerung kann mich natürlich trügen.
Es gibt für eine solche Tat allerdings ein passendes Vorbild: das Attentat des Israelis Baruch Goldstein am 25.2.1994, bei dem er 29 betende Muslime in Hebron erschoss, ziemlich genau 25 Jahre vor dem Attentat in Christchurch. Warum hat kein „Terrorexperte“ dieses näherliegende Vorbild genannt? Warum kommen sie von der kleinen deutschen Provinzzeitung (die auch noch Soldaten der Bundeswehr ins Spiel bringt) bis zur New York Times und der Washington Post aber nur auf Breivik, obwohl die Tat von den objektiven Umständen viel schlechter passt?
Sind diese „Terrorexperten“ mit dem schnellen Breivik-Vergleich wirklich besser als der neuseeländische Moschee-Vorsteher mit seinem „gefühlten“ Verdacht ohne Argumente? Der Vergleich ist ja tatsächlich eine Gleichsetzung, weil er die objektiven  Unterschiede noch nicht einmal thematisiert und das Goldstein-Attentat ebenfalls nicht erwähnt.

2. Das Muster des trainierten Terrors

Dieses bekannte Muster war mir sofort in einer neuseeländischen Zeitungsmeldung aufgefallen:
FestnahmeChristchurchDazu gab es deshalb einen eigenen kurzen Blogbeitrag. In einem Übersichtsartikel zu diesem bereits mehrfach beobachteten Muster stehen zwei wichtige Sätze:

  1. „Den an den Übungen Beteiligten soll selbstverständlich keine Mitwisserschaft an Terrorplanungen unterstellt werden“
  2. „Dabei kann die ausführende Terrorgruppe durchaus im eigenen Sinn und Willen handeln – der Anschlagstermin müsste jedoch, etwa über V-Leute und Spitzel, koordiniert werden“

Daran schließt sich die Frage an: wenn es keine Polizisten sind, wer kommt dann wie an die Übungstermine heran, um den Terroristen das Datum unauffällig nahezulegen? Über eine verblüffende mögliche Antwort auf diese offene Frage bin ich (aus purem Twitter-Zufall) wenige Stunden nach dem letzten Blogbeitrag gestolpert:

3. Die verblüffende Vorgeschichte von 2011: ein Erdbeben

findet man im NZHerald, im Telegraph, in der Daily Mail, in der Times, im Guardian und in Haaretz:
Haaretz

Der Telegraph berichtet:
„The paper quoted an unnamed intelligence officer as saying it would take only moments for a USB drive to be inserted into a police computer terminal and loaded with a program allowing remote backdoor access to the database

Wenn diese Vermutung stimmte, was manche Zeitungsberichte für mehr und manche für weniger zweifelhaft hielten, dann wäre es exakt das fehlende Puzzlestück zu Fakt 2: Wer eine Hintertür in Polizeidatenbanken hat, bekommt mit, wann die Polizei Trainings abhält. Es ist natürlich ein krasser Zufall (oder Unfall), dass es diese Berichte aus 2011 gibt, wo über genau dieses fehlende Puzzleteil im Muster des ‚trainierten Terrors‘ spekuliert wurde.
Und natürlich dürften solche Berichte von 2011 auch einem Moschee-Vorsteher in Neuseeland zu Ohren gekommen oder nach dem 15.3.2019 berichtet worden sein. Sein Verdacht ist also nicht völlig ohne realen Hintergrund. Umgekehrt wäre es auch für den Mossad ein Grund, in Neuseeland eigene Ohren zu installieren, wenn dort besonders durchgeknallte und von Israel besessene Islamisten aktiv wären. Deren Aktivitäten und den Umgang des neuseeländischen Staates mit ihnen kann man besser überwachen, wenn man Hintertüren in Polizeicomputer eingebaut hat.

4. Was Geheimdienste halt so machen

Grundsätzlich ist es nichts Ungewöhnliches, dass Geheimdienste versuchen, in Polizeisysteme einzudringen, sondern der Normalfall. Es gibt inzwischen viele Bücher, in denen solche Aktivitäten akribisch recherchiert und dokumentiert wTerrorismusLügenurden, u.a. aber nicht nur für die Stasi. Die Stasi hat systematisch westdeutsche Polizeisysteme abgehört und das auch für Terrorzwecke genutzt. Sie war beispielsweise in der Lage abzuhören, wenn die bundesdeutsche Polizei an Grenzübergängen oder Flughäfen Ausweise abgefragt hat: welcher Ausweis, wann, wo mit welchem Ergebnis? Von den von ihr unterstützten Terroristen hat sie sich die Passdaten beschafft (oder ihnen selbst falsche ausgestellt). So hat sie mitbekommen, wenn ihre Agenten in Kontrollen gerieten und wenn bei der  westdeutschen Polizei bereits Informationen über sie vorlagen. Sie konnte aber auch Bewegungsbilder ihrer Agenten erstellen, um sie selbst zu überwachen. Die Zahl der in den Stasi-Akten festgehaltenen Ausweisabfragen ist auf den ersten Blick erstaunlich. Unterwanderung
Sie hat über die aus den Polizeisystemen abgeschöpften Daten aber auch Material über westdeutsche Politiker, Beamte und Sekretärinnen gewonnen, das sie für Anbahnungen und Erpressungen eingesetzt hat.

Und selbstverständlich haben Autoren wie Igel und Knabe in den nebenstehenden Büchern recht überzeugende Fakten präsentiert, dass die Stasi Terrorismus aktiv unterstützt hat, um die BRD zu destabilieren und sie zu Entgegenkommen zu zwingen. Dabei war nicht nur Linksterrorismus, sondern auch Rechtsterrorismus, der der DDR ideologisch auf den ersten Blick fernstand. Das Ziel der Destabilisierung des Feindes war der Ideologie übergeordnet.

Es ist also legitim, über die Mitwirkung von Geheimdiensten an Terror zu recherchieren und auch zu spekulieren. Schließlich ist niemand auf die Idee gekommen, Regine Igel oder auch Hubertus Knabe Hass gegen Ostdeutsche vorzuwerfen, weil sie der Stasi auch terroristische Aktivitäten vorhielten.
Aber ein plausibles Motiv für eine solche Unterstützung sollte natürlich existieren.

Die große Frage nach einem Motiv

Geheimdienste haben zwar ein Interesse daran, alles Mögliche abzuhören, aber natürlich nur, wenn es einen Sinn macht. Was wollte der Mossad in Neuseeland?
Diese Frage stellte sich in Neuseeland schon 2011 :

IsraelisSheep

Neuseeland ist ja nun kein Staat, der für Israel ein unmittelbare strategische Dringlichkeit hätte, wie sie die BRD für die DDR hatte. Und es würde sich natürlich auch 2019 die Frage stellen, warum der Mossad einen australischen Täter in irgendeiner Weise beim Termin seines Attentats gegen eine Moschee in Neuseeland steuern oder gar unterstützen sollte. Wenn es das Ziel gewesen wäre, die öffentliche Meinung in Europa oder den USA zu beeinflussen (wie die intensive Nutzbarmachung des Attentats auch in Deutschland nahelegen könnte), warum dann nicht gleich dort ein Attentat? Hier gibt es offensichtlich eine wichtige Lücke.
Andererseits: warum haben 2011 die neuseeländischen und (gerade auch) die britischen  Zeitungen so breit über die entdeckten mutmaßlichen Agenten berichtet? Man kann sowas auch auf kleinerer Flamme halten oder ganz ins Reich der „Verschwörungstheorien“ verweisen. Gab es da einen Konflikt, der zu diesen relativ ungeschminkten Berichten mit späterer Relativierung geführt hat?

Fazit

Die Vermutungen des neuseeländischen Moschee-Vorstehers sind zwar fahrlässig unbegründet, aber nicht völlig ohne reale Basis, denn Indizien, dass der Attentäter von Christchurch nicht völlig allein gehandelt hat, gibt es. Medien bemühten sich aber schon wieder nach wenigen Stunden, einen Einzeltäter als einzige Option erscheinen zu lassen.
Die sehr obsessive und teilweise an den Haaren herbeigezogene politische Verwertung des fernen neuseeländischen Attentats im europäischen Kontext wirkt beinahe organisiert. Dabei ist ausgerechnet der Israeli Baruch Goldstein eine bessere Vorlage als der Norweger Breivik.
Die Vorgeschichte von 2011 mit den beim Erdbeben getöteten mutmaßlichen Mossad-Agenten ist natürlich in dem Kontext ein GAU, der fast schon zu schön ist, um wahr zu sein. Wollte umgekehrt jemand, und zwar nicht allein der Moschee-Vorsteher, nach der aufgeflogenen Geschichte von 2011 den Israelis ein Attentat in die Schuhe schieben? Spekulationen sind jedenfalls erlaubt, Geheimdienste existieren und radikalisierte Einzeltäter ohne GD-Hintergrund werden in ihrer Bedeutung allgemein überschätzt.

Christchurch und ein Muster

In einem neuseeländischen Bericht über die beiden Polizisten von Christchurch, die den Attentäter überwältigt haben, fällt folgende Passage auf:

We now know more about exactly what happened in the moments before, including the fact that the officers were at a training day, preparing for an event like Friday’s tragedy

Die Beamten waren also auf einem Training, wo für genau das trainiert wurde, was gleichzeitig geschah: ein terroristischer Anschlag. Das ist natürlich ein wahnsinniger Zufall: „hell of a coincidence„.

Noch viel unglaublicher wird der Zufall, wenn man weiß, dass genau diese Art von Zufall in den letzten Jahren und Jahrzehnten sehr häufig bei großen terroristischen Ereignissen auftritt, völlig unabhängig davon, ob das Attentat aus rechtsradikalen oder islamistischen Motiven begangen wurde. Dasselbe Phänomen wurde sowohl bei den Pariser Attentaten 2015, also auch beim Breivik-Attentat von Oslo als auch am 11. September 2001 beobachtet.

Eine gute Zusammenfassung dazu gibt es in einem Heise-Artikel von 2015:

Der trainierte Terror

Ermittler bezweifeln die offiziell behauptete Logik der Pariser Anschläge. Eine Übung am gleichen Tag wirft Fragen auf. Zahlreiche Übungen vor vergleichbar schweren Anschlägen in der Vergangenheit legen zudem ein Muster nahe

Exakt dieses Muster hat sich jetzt also auch in Christchurch wieder gezeigt. In der Bewertung dieses Musters war der Autor sehr vorsichtig:

Die Gleichzeitigkeit für sich genommen ist wohl kaum mehr als ein ungewöhnlicher Zufall. Eine weitergehende Prüfung ergibt allerdings, dass vielen der bekanntesten Terroranschläge der letzten 15 Jahre in westlichen Metropolen (Paris 2015, Boston 2013, Norwegen 2011, London 2005, Madrid 2004, New York und Washington 2001) Notfallübungen unmittelbar voraus gingen, die oftmals auch noch einem Szenario folgten, das ganz ähnlich dann Realität wurde. Zumindest für einige der bekanntesten Anschläge ist das belegbar (Details siehe unten). Im herkömmlichen Rahmen lässt sich eine solche Koinzidenz nicht erklären

In dieser Häufung sind das eindeutig zu viele Zufälle. Die Lektüre des Artikels von 2015 lohnt sich, um sich die unwahrscheinliche Häufung dieser Art von Zufall an vielen Beispielen deutlich zu machen. Und natürlich ist es bedeutsam, dass genau dieses Muster jetzt in Christchurch erneut aufgetreten ist.

 

Nachtrag 21.03.2019
Hier noch eine neuseeländische Zeitung, die Details zum Training berichtet:
The officers, who the Herald has agreed not to name, are both based in smaller towns out of Christchurch.
Their boss rural response manager Senior Sergeant Pete Stills said the pair had travelled into Christchurch to attend a training session at Princess Margaret Hospital in Cashmere. The training was held on a disused floor of the hospital and was around room clearance and dealing with offenders in armed incidents.
They were actually training when the call came through that there was an active armed offender in Christchurch