Die Stimmungskanonen von der GroKo

GroKoBilanz

Merkel: „Eine Situation wie 2015 darf sich niemals wiederholen“
„Ich würde wieder alles ganz genau so entscheiden“

Verstehen Sie das wirklich? Haben Sie Vertrauen?

 

Eine Postkarte mit diesen Bildern, Zitaten und Fragen haben wir ca. 7500-fach in München-Ost verteilt. Auf der Rückseite: Werbung für die Freien Wähler:

HeimatStattHass

MerkelistDieMutterDerAfDMutStattMutti

Es gibt Alternativen zu Merkel,
zur CDU/CSU,
zu den Linksparteien und
auch zur AfD

Zum Beispiel die Freien Wähler

FreieWähler2

Es gibt nämlich immer Alternativen, bei allem. Die Frage ist nur, was ihre Vor- und Nachteile sind. Die Große Koalition und Merkel halten uns für zu dumm, diese zu erfahren und zu diskutieren.

Wählen sie meinetwegen, was Sie wollen: Freie Wähler oder FDP oder sonstwas!

So kann es jedenfalls nicht mehr weitergehen: mit Verdummung, mit Gesinnungsterror, mit Sprechverboten und dazu noch mit (bösen, bösen) AfD-Botschaften auf CDU-Wahlplakaten.

Die Verarsche muss endlich aufhören. Dann nimmt auch der Hass wieder ab. Ganz sicher.

Nachtrag 27.9.2017:
Die Schwäche der gesamten GroKo habe ich richtig geahnt. Das war nicht nur bundesweit so, sondern auch in München-Ost:
ErgebnisseMünchenOst_Zweitstimme
Die CSU hat 8 Prozentpunkte, also gut 1/5 ihres Stimmanteils, verloren, die SPD 7,5 Prozentpunkte oder gut 3/10 ihres schon geringen Stimmanteils. Die Verluste der SPD hatte ich auf dem Radar, die Verluste der CSU haben mich in der Höhe überrascht. Die Grünen und die Linken haben sich hier lokal nicht nur gut gehalten wie im Bundesdurchschnitt, sondern ordentlich zugelegt. Die großen Gewinner sind aber auch hier FDP und AfD, die ihre Stimmanteile knapp verdoppelt haben.

Die Freien Wähler haben bei Erst- und Zweitstimmen folgendermaßen abgeschnitten in München-Ost:

ErgebnisseMünchenOst

In den beiden Stadtteilen Berg am Laim und Ramersdorf-Perlach, dem sozial schwierigen Bezirk, in dem ich meine Flyer verteilt habe, sahen die Teilergebnisse so aus:
Berg am Laim:
ErgebnisseBergAmLaim.jpg

Ramersdorf-Perlach:
ErgebnisseRamersdorfPerlach

Die Freien Wähler liegen hier in München-Ost also über dem Bundesdurchschnitt von 1%, aber unter dem Bayerndurchschnitt von 2.7% der Zweitstimmen.

Nachtrag 27.11.2017
Mit dem Scheitern von Jamaika ist die GroKo wieder brandaktuell. Alle drei vom Stimmungsbild könnten demnächst gemeinsam in der Regierung sitzen. Zurück auf Los!

 

Bundesweit keine bessere CSU

Alle drei „linken“ Parteien haben sich durch die Unterwerfung unter Merkels Absolutismus für mich unwählbar gemacht. Letztlich steckt hinter diesem Hinterherlaufen ein fundamentaler Mangel an Urteilskraft, Orientierung und Standfestigkeit in entscheidenden Fragen der Gesellschaft.

Was also tun als ehemals linker und immer noch freidenkerischer Wähler?
Heute: Einen Blick auf eine Alternative und zwei Münchner Kandidaten werfen.

Die Freien Wähler treten zur Bundestagswahl an

Hätten Sie es gewusst? Hier findet man die offizielle Site zum Wahlkampf:

https://www.die-anstaendige-alternative.de/

Stark in den Gemeinden, stark im Süden

Die Freien Wählergemeinschaften sind vor allem im Süden bei Kommunalwahlen stark. In Bayern sind die Freien Wähler traditionell stark in den Gemeinde- und Kreisräten vertreten, oft stellen sie Bürgermeister oder Landräte wie jenen, der es zu bundespolitischer Bekanntheit gebracht hat. Nicht selten stellen sie die zweitstärkste Fraktion in Stadt- und Gemeinderäten. Fast noch stärker sind sie in Baden-Württemberg, wo sie bei der letzten Kommunalwahl sogar die meisten Stimmen erhalten haben. In den übrigen Bundesländern ist ihre Bedeutung dagegen deutlich geringer. Die Freien Wähler gelten traditionell als Vereinigung von liberal-konservativen Bürgern, die eine Alternative zur Union suchen, zumindest auf lokaler Ebene. Es handelt sich also um eine Graswurzelbewegung im besten Sinne.

Überregional umkämpft, aber beachtlich

Die überregionale Betätigung der Freien Wähler ist bei den lokal aktiven Wählervereinigungen keineswegs unumstritten. Es gibt eine Parallelstruktur aus einem Bundesverband der kommunalen Freien Wählergemeinschaften und eben jener Bundesvereinigung, die jetzt auch zur Bundestagswahl antritt. Der Landesverband der FW in Baden-Württemberg hat sogar den Bundesverband verlassen, weil er mit der starken personellen Verflechtung des lokalpolitisch orientierten Bundesverbandes mit der landes-, bundes- und europapolitisch aktiven Bundesvereinigung nicht einverstanden ist.

In Bayern haben es die Freien Wähler geschafft, mit einer Fraktion in einen Landtag einzuziehen, 2009 und 2013 jeweils als drittstärkste Kraft nach CSU und SPD. Auch im Europäischen Parlament sind die Freien Wähler vertreten, mit einer bayerischen Abgeordneten, die (gemeinsam mit der FDP) der liberalen Fraktion ALDE angehört, und einem Abgeordneten aus Rostock, der (gemeinsam mit den AfD-Gründern) der Konservativen Fraktion angehört und erst kürzlich von der Familienpartei zu den FW übergetreten ist. Hans-Olaf Henkel hatte vor der Gründung der AfD das Potenzial der FW als liberale und bürgerliche Kraft erkannt. Dann hat es aber doch nicht ganz gepasst, und Henkel ging zur neugegründeten AfD und dort mit Lucke unter. Beide Ereignisse sprechen aus meiner Sicht für die Freien Wähler: sie sind attraktiv, lassen sich aber nicht so einfach kapern und instrumentalisieren.

Personen und Inhalte

Der bekannteste Vertreter der Freien Wähler ist der Niederbayer Hubert Aiwanger, der derzeit als Spitzenkandidat zur Bundestagswahl auf vielen Plakaten zu sehen ist. Hier spricht er über die Themen und die Ausrichtung seiner Gruppierung in Bayern. Die Rede zum politischen Aschermittwoch im Jahr 2017 war bundespolitisch orientiert:
HubertAiwanger

Im Interview im letzten Kapitel dieses Beitrags erläutern zwei Münchner Bundestagskandidaten ihre persönlichen Positionen und diejenigen der FW zu 10 mir wichtig scheinenden Fragen. Die FW-Kandidaten vertreten teilweise linke Positionen, u.a. zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Sie bieten bürgerlichen Wählern eine Heimat, die Gründe für harte sachliche Kritik an Angela Merkels Politik sehen. Sie vertreten auch in der Europapolitik pragmatische Positionen, die geschickt zwischen EUphorie und Euroskepsis vermitteln. Eine große Meinungsvielfalt und die Abwesenheit einer starren Parteilinie ist erkennbar, und das ist in diesen konfrontativen Zeiten ein echter Pluspunkt.

Fazit

Die Bundespartei der Freien Wähler ist in diesen Zeiten eine sehr interessante Option, um pragmatisch Druck auf alle übrigen Parteien auszuüben. Es spricht einiges dafür, dass ein Einzug der Freien Wähler in den Bundestag dort für intensivere Debatten und eine neue Dynamik im Stillstand zwischen Linksparteien, Merkelparteien und der AfD sorgen würde. Das ist eine positive Rolle, die ähnlich nur noch die FDP spielen kann (wenn sie sich nicht wieder in einer schwarz-gelben Koalition selbst aufgibt). Wegen ihrer starken sozialpolitischen und Graswurzel-Komponente sind mir die Freien Wähler tatsächlich noch sympathischer als die FDP und ich würde sie deshalb ganz sicher wählen, wenn es die 5%-Hürde nicht gäbe.
Ich wünsche deshalb den Freien Wählern in jedem Fall ein gutes Ergebnis und den Einzug in den Bundestag. Wenn es dieses Mal nicht klappt, dann gibt es bei der Bayerischen Landtagswahl im kommenden Jahr eine gute Chance, zum dritten Mal in Folge den Sprung in den Landtag zu schaffen.

Interview mit Münchner Bundestagskandidaten

Um die einzelnen Abgeordneten gegenüber der Partei, ihren Spitzenleuten und auch den geschriebenen Programmen aufzuwerten, habe ich die beiden Kandidaten der Freien Wähler aus meinem Umfeld kontaktiert, um mit ihnen über ihre Gruppierung und ihre politischen Vorstellungen zu sprechen. Horst Engler-Hamm, München-Nord, und Rudolf Schabl, München-Ost, waren so freundlich, mir auf die folgenden Fragen zu antworten.

MünchnerFWKandidaten

Wie ist es für die Freien Wähler, wenn sie als „bessere CSU“ betrachtet werden? Von Hubert Aiwanger gibt es ja Äußerungen (z.B. aus dem Landtagswahlkampf 2013), dass die FW die bessere CSU sein müssten. Könnte das auch ein attraktiver Anspruch sein, wenn wir jetzt über die Bundestagswahl 2017 sprechen? Nach einer bundesweiten CSU, zumal noch einer besseren,  sehnen sich ja viele.

Engler-Hamm: Ich glaube nicht, dass die FW eine bessere CSU sein wollen. Wir sind einfach eine andere bürgerliche Partei der linken Mitte, die das konservative, oft reaktionäre, oft bigotte (obligatorisches Mitlaufen bei Prozessionen) Erscheinungsbild der CSU ablehnt. Wir sind, zB auf dem Land, Rechtsanwälte , Hoteliers, Ärzte die sich mit vorher genannten Dingen nicht identifizieren können. Wir glauben, dass wir unseren gesunden Menschenverstand einsetzen sollten, ohne Partei-Scheuklappen und Fraktionszwang.

Schabl: Die Freien Wähler (FW) sind nicht nur Hubert Aiwanger. Es gibt eine Vielzahl von unabhängigen Wählergruppen, die eine große Bandbreite an Interessen, vor allem in den Gemeinden, Städten und Bezirken, vertreten. In den Kommunen, also an der Basis, die den Bürgerinnen und Bürgern am nächsten stehen, wird die Politik gemacht, für die die FW  stehen und die um die Probleme vor Ort wissen. In vielen Kommunen sind Mandatsträgerinnen und -träger der FW vertreten und haben Verantwortung; sie sind dort, wo der Alltag stattfindet. In Berlin werden viele Entscheidungen an den Menschen vorbei getroffen.
Die FW sollten sich nicht an die CSU anhängen, das wäre für mich populistisch; sie sollen auch nicht die bessere CSU sein, sondern ihre eigenständige, sachbezogene und bürgernahe Politik weiter verfolgen (Politik mit Herz und Hirn) ohne von Großspenden und Lobbyisten abhängig zu sein. Als von 2008 bis 2013 die CSU in Bayern mit der FDP regierte, hat das der FDP nicht gut getan. Die CSU hat sie „an die Wand gedrückt“ und deren Positionen übernommen; die FDP ist 2013 aus dem Bayerischen Landtag verschwunden. Die CSU hat die Bindung zum Bürger und der Politik vor Ort verloren; sie ist dem Populismus von Seehofer ausgeliefert. Wenn Seehofer sagt, er sei Partner der Bürger, hat er vergessen, dass die Bürger der Souverän in einer Demokratie sind und er und die bayerische Regierung von diesen Bürgern gewählt wurden.

Was waren aus Ihrer Sicht bisher die größten Erfolge der FW in Bayern und in Deutschland?

Engler-Hamm: Abschaffung der Studiengebühren und G9

Schabl: Größte Erfolge waren die Wahl in den Bayerischen Landtag 2008, die Abschaffung der Studiengebühren, die derzeit diskutierte Rückkehr zum G9. Bundesweit war bemerkenswert, dass die FW mit Alexander Hold einen eigenen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten aufstellten, der dann sogar mehr Stimmen erzielte, als die FW Wahlstimmen in der Bundesversammlung hatten.

Wie positionieren Sie sich als Kandidat der FW in der Sozialpolitik? Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf? Wie grenzen Sie sich von CDU/CSU, FDP, SPD und Linken ab?

Engler-Hamm: Die niedrigen Renten müssen radikal erhöht werden.

Schabl: Die Rentenversicherung muss auf eine solide finanzielle Basis gestellt werden. Alle Beschäftigten, auch Beamte und Selbständige müssen in eine solidarische Rentenversicherung (entspricht dem Modell der Bürgerversicherung) einzahlen. Die heutige Erwerbsarmut führt zur Altersarmut. Junge Menschen brauchen langfristige berufliche Perspektiven. Eine sichere Lebens- und Familienplanung ist mit befristeten, sachgrundlosen Zeitarbeitsverträgen und niedrigen Löhnen nicht möglich. Ein gerechter Lohn bringt eine gerechte Rente. Eine flächendeckende Gesundheitsversorgung, eine Regelung für die Niederlassung von Ärzten besonders im ländlichen Raum, muss geschaffen werden.

Die FW haben sich in Bayern und anderswo ja ganz stark als Befürworter des 9-jährigen Gymnasiums profiliert und damit auch erfolgreich auf die Landesregierung eingewirkt. Wie sehen Sie die Ziele der FW in der Bildungspolitik? Was halten Sie von  der Digitalisierungsbegeisterung der FDP im aktuellen Bundestagswahlkampf?

Engler-Hamm: Die FW treten für eine schnelle Breitbandverkabelung in ganz Bayern ein.

Schabl: Das G9 ist noch nicht ganz in trockenen Tüchern. Auch den Schülerinnen und Schülern, die jetzt schon im Gymnasium sind, muss das G9 zugutekommen (das ist bislang nur den Schülerinnen und Schülern, die in den kommenden Schuljahren das Gymnasium besuchen, möglich). Eine diesbezügliche Petition wurde von den FW vor kurzem initiiert. Bildung muss von klein auf gewährleistet sein und darf nichts kosten. Wenn jetzt nicht in Bildung investiert wird, fehlen in Zukunft die gut ausgebildeten Fachkräfte, die Deutschland voranbringen.
Digitalisierung darf nicht zu einer Aufweichung von Arbeitnehmerrechten führen. Die Folge wären prekäre Arbeitsverhältnisse im Niedriglohnsektor. Bereits jetzt gibt es sogenannte „Crowdworker“, also kurzzeitig beschäftigte Auftragnehmerinnen und Auftragnehmer, die nicht wissen, ob sie ihren Lebensunterhalt auch zukünftig sichern können, weil sie sich von einem Einsatz zum anderen ohne eine soziale Absicherung durchkämpfen müssen.

Was sagen Sie als FW über die Verlängerung des vorbeugenden Gewahrsams auf 3 Monate, den der bayerische Landtag im Juli mit den Stimmen der CSU beschlossen hat? Die FW haben im Landtag das Gesetz kritisiert, sich aber wie die SPD der Stimme enthalten. Wie stehen Sie als FW zum beschlossenen und ebenfalls umstrittenen „Netzdurchsetzungsgesetz“ von Bundesjustizminister Heiko Maas?

Engler-Hamm: Ich persönlich bin gegen diese Gesetze.

Schabl: Was ist denn eine drohende Gefahr? Die muss ja nicht unbedingt von einem Asylbewerber ausgehen. Auch der Normalbürger kann in eine Lage kommen, in der er als Gefahr angesehen werden kann. Eine Verlängerung des vorbeugenden Gewahrsams wäre m. E. nicht nötig gewesen.
Das Netzdurchsetzungsgesetz ist nur dann sinnvoll, wenn Hassmails und Beleidigungen im Internet gar nicht erst auftauchen. Heutzutage kann sich jeder über alles Mögliche aufregen und das der ganzen digitalen Welt mitteilen. Konstruktive Kritik soll möglich sein. Auch die grundgesetzliche Meinungsfreiheit und das Recht auf Information dürfen nicht beschränkt werden. Vertrauenswürdige Quellen sollten entsprechend gekennzeichnet werden, z. B. mit einem Gütesiegel.

Was ist Ihnen in der Außen- und Verteidigungspolitik wichtig? War die Abschaffung der Wehrpflicht vernünftig? Wie halten Sie es mit Auslandseinsätzen der Bundeswehr?

Engler-Hamm: Als Pazifist bin ich prinzipiell gegen Militäreinsatz im Ausland.

Schabl: Durch die Abschaffung des Grundwehrdienstes wurde auch die Ableistung des Ersatzdienstes gestrichen. Das Eintreten für eine soziale Gemeinschaft, z. B. für ehrenamtliches Engagement, geht verloren.  Auch in diesem Zusammenhang wäre eine Wiedereinführung zu diskutieren. Als Ersatz für den Grundwehrdienst wäre ein verpflichtendes soziales Jahr einzuführen. Jedenfalls ist zu verhindern, dass in unserer Gesellschaft Individualismus vorherrscht, sondern sich jeder Einzelne für die Gemeinschaft einsetzt.
Die moderne Kriegsführung und die veränderte Bedrohungslage verlangt eine immer bessere Spezialisierung unserer Soldaten (z. B. Cyber-Truppe). Deshalb muss auch berücksichtigt werden, dass der Dienst für länger dienende Berufssoldaten mit einem Maßnahmenpaket im Hinblick auf Vereinbarkeit von Beruf mit Familie und Besoldung attraktiv gestaltet wird.

Wie sehen Sie als Freier Wähler die Zukunft Europas und die der EU? Soll es mehr Zentralismus geben oder wieder mehr Nationalstaat oder mehr Zusammenarbeit zwischen den Regionen?

Engler-Hamm: Europa der Regionen ist meine Vorstellung.

Schabl: Durch die Globalisierung sind Entscheidungen erforderlich, die national nicht mehr lösbar sind. Es ist aber auch auf nationale Interessen Rücksicht zu nehmen, Entscheidungen sollten vorrangig auf nationaler, besser noch auf kommunaler Ebene getroffen werden. Entscheidungen der EU müssen die Interessen der Bürgerinnen und Bürger mit einbeziehen und nachvollziehbar sein. Dies würde auch zu größerer Transparenz und folglich zu Akzeptanz der EU-Institutionen insgesamt führen. Europa und die EU haben eine Zukunft, wenn alle einsehen, dass man über den Tellerrand hinaussehen muss und das große Ganze im Auge behält.

Wie sehen Sie die Zukunft des Euro? Glauben Sie, dass Südeuropa im Euro wieder auf die Beine kommt? Können Sie sich einen europäischen Finanzminister und europäische Steuern vorstellen? Oder könnte es vernünftig sein, sich auf eine geordnete Auflösung des Euro vorzubereiten, damit nicht alles ungeordnet abläuft, falls die bisherige Rettungspolitik scheitert?

Engler-Hamm: Der Euro nützt Deutschland am meisten. In jedem Südeuropa-Haushalt stehen deutsche Exportwaren. Da muss Deutschland auch zurückgeben und helfen.

Schabl: Der Euro hat eine Zukunft, wenn jedes Land für seine Schulden einsteht. Krisenländer sollten die Möglichkeit haben, eine Zweitwährung einzuführen, um schneller wieder wettbewerbsfähig zu werden. Ein europäischer Finanzminister und europäische Steuern wären den EU-Bürgern nicht zu vermitteln und würde nur das Misstrauen in die EU weiter verstärken.

Wie sehen Sie den ungeordneten Zustrom von Migranten von 2015/16? Welche Fehler wurden gemacht? Was müsste jetzt getan werden, um die dadurch entstandenen Probleme zu mindern und die Spaltung in Gegner und Befürworter von Merkels Grenzöffnung zu überwinden?

Engler-Hamm: Geordnete, begrenzte und gesteuerte Zuwanderung, nur für Personen die sich ausweisen können und die bereit sind, in kurzer Zeit Deutsch zu lernen und zu arbeiten.

Schabl: Der von Angela Merkel verursachte ungeordnete Zustrom von Flüchtlingen war und ist nicht akzeptabel. Die Bundespolizei und das Bundesamt für Migration und Flüchtlingen (BAMF), aber auch alle anderen Behörden waren durch verfehlte Personalpolitik und Sparmaßnahmen nur eingeschränkt handlungsfähig und haben ihr Möglichstes getan. Beispielsweise wurden Beschäftigte von Zoll zum BAMF abgeordnet und fehlten dann an wichtigen Stellen (Bekämpfung der Schwarzarbeit).
Es muss vermittelt werden, dass viele Flüchtlinge nicht ein besseres Leben, sondern überleben wollen. Aber auch, dass Asylrecht ein Bleiberecht auf Zeit ist.

Was würden die FW machen, wenn Sie es in den Bundestag schaffen würden? Würden Sie mitregieren oder eher Opposition sein wollen? Welchen Personen aus anderen Parteien würden Sie gerne Ihre Stimme bei einer Kanzlerwahl geben, wenn auch das Regierungsprogramm stimmt?

Engler-Hamm: Ich möchte mich nicht an Spekulationen beteiligen und als Wahrsager handeln. Zuerst muss unser Ziel erreicht werden, in den Bundestag zu kommen.

Schabl: Bei einer Wahl in den Bundestag wäre Opposition vorzuziehen. Oppositionsarbeit kann verändern. Das kann man im Bayerischen Landtag sehr gut beobachten. Anregungen der FW werden von der CSU-Mehrheit zwar immer wieder abgelehnt, tauchen aber leicht verändert als CSU-Idee wenig später wieder auf. Ein gutes Beispiel ist hierfür unser Einsatz für die Amateurtheaterbühnen in Bayern. Nach langem hin und her hat die Mehrheitsfraktion des Bayerischen Landtags den von Herrn Prof. Dr. Michael Piazolo, MdL und der FREIEN WÄHLER Landtagsfraktion eingebrachten Antrag zur besseren finanziellen Ausstattung des Theaters 1:1 übernommen bzw. abgeschrieben.

 

Nachtrag 27.9.2017:
Die Freien Wähler waren die stärkste der Parteien unter 5% und haben trotz objektiv schwierigerer Umstände ihr Ergebnis von 2013 noch verbessert:

KleinparteienErgebnisse

Nur die 3 Parteien, die mehr als 0.5% erhalten haben, haben Anspruch auf eine Wahlkampfkostenpauschale von einem Euro/Wähler.
Interessant auch die regionale Verteilung der FW-Ergebnisse:

FWErgebnisseKarte

Bayern war tatsächlich wieder die Hochburg der Freien Wähler. Die 2.7% sind eine gute Basis, um in einem Jahr wieder in den Bayerischen Landtag einzuziehen und womöglich an die 9% von 2013 heranzukommen. Es gab Bezirke in Bayern, in denen die FW sogar  bei der BTW nahe an den 5% dran waren: Niederbayern und die Oberpfalz

FWErgebnisse

Die Ergebnisse von Horst Engler-Hamm, München-Nord:
ErgebnisseMünchenNord

und von Rudolf-Schabl, München-Ost:
ErgebnisseMünchenOst

Der kluge Kommentar zum Wahlergebnis von Wolfgang Schrapp, Vorsitzender der Freien Wähler und BT-Kandidat in Neu-Ulm:
FWAnalyseWolfgangSchrappNeuUlm

Viel Beifall für die Linke

In meinem persönlichen Abgesang auf die deutsche Linke blieb am Schluss noch ein Quäntchen Unsicherheit, was von der Partei „Die Linke“ bbtw17-bernd-tour-by-muenchen-kleinei dieser BTW zu halten sei.

Deshalb kam mir dieses Wahlplakat wie gerufen:
Der Parteivorsitzende Bernd Riexinger und die 2. der Landesliste Bayern und Kandidatin in München-Süd, Nicole Gohlke, sind heute bei mir ums Eck gemeinsam aufgetreten.

Das musste ich wissen:
Wie sind sie so drauf?
Was sagen sie?
Wie ist das Publikum?
Was ist mit dem Elefanten im Raum?

Mein Weg war kurz, denn die „Echardinger Einkehr“ ist eine sehr nette Münchner Wirtschaft mit Biergarten, in der ich gerne mal mit Freunden ein Bier trinke. Die Wirtschaft liegt ja ganz in der Nähe des Michaelibads,EchardingerEinkehrdes Bads im sozial schwierigen Bezirk, das sogar in Berlin bekannt ist.

Es war sehr nett

Das Publikum war sehr nett, eher etwas gesetzt und in meinem Alter+, ganz ähnlich wie bei Guido Reil, aber zahlreicher, ergänzt um mehr Jüngere, insgesamt vielleicht 250 Leute im vollen Saal. Die Umgebung war natürlich erheblich gediegener als der zugige Rosenkavalierplatz, und es wurde ordentlich gegessen und getrunken in der nicht spottbilligen Einkehr, wenn auch eher Kasspatzen als Boeuf Stroganoff.

Im Anschluss an die Wahlkundgebung fand noch eine Kreis-Mitgliederversammlung statt, bei der es vor allem um die Lage in der Pflege und an den Städtischen Kliniken München ging, die sich gerade in einer schweren Krise befinden. Deshalb war auch die Gesamt-Betriebsratsvorsitzende Ingrid Greif  anwesend und  sprach ein Grußwort. Sie bemerkte, dass „80% von dem, was die Zeitungen über das Klinikum schreiben, Mist“ ist. Es war eine Veranstaltung in bester sozialdemokratischer Tradition, nur ohne SPD.

Nicole Gohlke war sehr nett

NicoleGohlke

Sie hat sehr resolut und engagiert gesprochen. Über städtische Angestellte, Lehrer und Lehrerinnen mit Angst vor der nächsten Mieterhöhung, über die vielen Risse in Merkels heiler Welt des „Uns geht’s ja so gut!“.

So war die SPD vor 30, 35 Jahren. Ich weiß das so genau, weil ich damals dabei war, zum Beispiel bei Wahlkampfreden von Willy Brandt: ganz großer Bahnhof für einen sozialdemokratischen Helden. Und die vielen Risse in Kohls heiler Welt.

 

Es ist vieles so richtig

Nach 15 Minuten kam Bernd Riexinger. Ich habe nichts einzuwenden gegen das, was er über den lamentablen Zustand der gesetzlichen Rente in Deutschland gesagt hat, den erschreckenden Vergleich mit der Rente in Österreich, die um satte 800 Euro höher liegt, und damit für die meisten kleinen Rentner fast doppelt so hoch. Alles das kann man u.a. auf den Nachdenkseiten nachlesen. Riexinger hat das und noch viel mehr sehr gut referiert. Der Beifall kam reichlich, auch von mir. Das sind Fakten, die jeder kennen sollte.
Dass die Gewerkschaften zu defensiv sind, weil sie nur die Interessen der organisierten Mitglieder vertreten, weiß auch jeder.

Manches viel zu einfach

„Dass Kim verrückt ist, weiß jeder“, aber Trump ist übrigens „auch ein Riesenarschloch“, hat aber einen richtigen Satz gesagt: „Es gibt 3 Wege, um reich zu werden. Der erste ist ein fettes Erbe, von den beiden anderen brauche ich dann nicht mehr zu reden“.
„Spekulationen mit Wohnungen müssen verboten werden!“, „Mindestens 250.000 Wohnungen müssen pro Jahr gebaut werden“.

Und drei Dinge stören brutal

Die SPD sei ein ganz fieser Haufen. Man sei natürlich zu Rot-Rot-Grün bereit, aber nicht um jeden Preis, sondern nur zu den eigenen Bedingungen. Dabei ist RRG in Wahrheit ein goldenes Kalb, um das man tanzen wird, bis die Sonne endgültig hinter dem Horizont versinkt. Die Linke und die SPD werden nie freiwillig zusammenfinden, ebensowenig wie die KPD und die SPD freiwillig zusammengefunden haben. Keine Ahnung, ob es an der SPD oder der Linken liegt, im Zweifel an beiden. Jedenfalls ist bei der nominalen RRG-Mehrheit im aktuellen Bundestag genau eine gemeinsame Aktion herausgekommen: die gemeinsame Verteidigung von Kanzlerin Merkel in höchster Not. Derselben Merkel, die Riexinger den ganzen Abend verrissen hat.

Und der Ralf Stegner und die Hannelore Kraft haben vor den Landtagswahlen verkündet, dass es das Wichtigste sei „Die Linke“ aus dem Landtag herauszuhalten. Das ist beiden in den Wahlen ja auch gelungen, sonst aber nichts. Dabei dürfe es, so Riexinger, nicht darum gehen, die Linke aus den Parlamenten zu halten, sondern die AfD müsse aus den Parlamenten herausgehalten werden. Das ist herzallerliebst: die eigene, schmerzlich empfundene Totalausgrenzung ist ein großes Unrecht, das nur durch die Totalausgrenzung der AfD, jedes einzelnen AfD-Mitglieds wie Guido Reil wohlgemerkt, wieder gutgemacht werden kann (Umgekehrt ist es weder besser noch schlechter: die AfD greint über die eigene Ausgrenzung und fordert als Wiedergutmachung bedenkenlos die Ausgrenzung und Kriminalisierung der Linken).

Das dritte Riesenproblem ist der rosarote Elefant im Raum, über den Riexinger praktisch kein Wort verloren hat. Er spricht darüber ebenso ungern wie Angela Merkel. Dabei hat dieser Elefant natürlich sehr viel zu tun mit den steigenden Mieten für einfache Wohnungen, mit dem Druck auf die Löhne für einfache Arbeit, mit Geldmangel bei den Gesetzlichen Krankenkassen und mit schwindenden Bildungschancen in vielen Schulen. Das Totschweigen dieses rosaroten Elefanten mit ganz, ganz abstrakten Formeln von grenzenloser Solidarität scheint mir so etwas wie die fundamentale Lebenslüge der Linken zu sein. Es ist die Voraussetzung für Forderungen an Merkel, an Seehofer und an die bösen Reichen, alle Probleme mit immer mehr Geld zuzuschütten.

Fazit und Ausblick

Die Linken kann ich guten Gewissens nicht wählen,  dieses Mal nicht mehr. Zu groß scheint mir ihre Bereitschaft, auch die gewalttätige Auseinandersetzung mit der AfD zu unterstützen, jedenfalls nicht geringer als die Bereitschaft der Rechten, auch Gewalt gegen links zu unterstützen. Sie fühlen sich in ihrem Hass aufeinander gleichermaßen  im Recht, obwohl der Hass seine Schärfe daraus bezieht, dass sie ähnlich illiberal strukturiert sind.
Damit ist jetzt klar, dass ich guten Gewissens nur noch die FDP wählen kann oder eine Alternative, die sowohl das Rentenproblem ähnlich sieht wie die Linkspartei, als auch den rosa Elefanten rational anerkennt, den die Linke total verleugnet und die AfD zum alleinigen Problem erklärt.
Diese aus meiner Sicht einzige anständige Alternative zur FDP werde ich im nächsten Blogbeitrag vorstellen, dem letzten vor der Sommerpause.

ZEIT parodiert Postillon

Die Zeit hat mal wieder einen interessanten Artikel veröffentlicht:
Zeitartikel

Es handelt sich dem äußeren Anschein nach um eine Nachricht auf der Grundlage einer empirischen Untersuchung/Umfrage.
Das Frappierende an dieser „Nachricht“ ist nun, dass sie vor ziemlich genau 3 Monaten so ähnlich schon in der Online-Satire-Zeitung „Der Postillon“ zu lesen war:
Postillonartikel.jpg

Achten Sie auf die Krawatten: selbst die Bebilderung des ZEIT-Artikels wirkt wie dem satirischen Artikel abgeschaut. Es handelt sich offensichtlich in beiden Fällen um Fotos von der großen Übergabe-Show Gabriel->Schulz. Nun also der gedachte Salto rückwärts.

Fragen an die ZEIT und die Medien

Wie sollen wir künftig Nachrichten von Satire unterscheiden? Was sind Nachrichten noch wert, wenn wir sie 3 Monate im Voraus als Satire lesen können? Welche Rolle spielen Umfragen, wenn ein Satirebeitrag das Ergebnis um Monate im Voraus formulieren kann? Wurde der inhaltsleere Schulz-Effekt erfunden und verstärkt, damit Schulz leichter und mit dem richtigen Timing wieder heruntergeschrieben werden kann? Wer soll für solche „Information“ und „Analyse“ noch zahlen? Wer wundert sich angesichts dieser Umstände noch, wenn Leute von „Lügenpresse“ sprechen?

Fragen an die SPD

Wie konnte die SPD hoffen, mit einer inhaltslosen Schulz-Show diesen Wahlkampf erfolgreich zu bestehen? Was ist der Daseinszweck einer Partei, wenn es die politischen Inhalte nicht sind? Warum hat die Parteibasis die Leere des Schulz-Kultes nicht erkannt und mehr gefordert? Warum hat die Parteiführung all die Schwächen und Lücken nicht erkannt, die sich Satirikern und Kritikern förmlich aufgedrängt haben und die auch die Strategen der Gegenseite gründlich ausgeschlachtet haben?

Das Wissen ist da

Alle diese Fragen werden unter dem ZEIT-Artikel in Leserkommentaren intelligent angesprochen. Und die Nachdenkseiten haben gerade heute dieselben Fragen im Zusammenhang mit den Kommentaren zu Schulz in der Süddeutschen Zeitung erörtert. Die Haltlosigkeit des Schulz-Hypes wurde dort seit Monaten thematisiert. Auch der SPD-Dissident Guido Reil hat bereits in einem Interview im Februar seine Verwunderung über den Schulz-Effekt geäußert.

Fazit: Die Menschen, die das nötige Verständnis haben und auch äußern, sind nicht (mehr) in der SPD. Nur so ist zu erklären, dass sich diese Partei von den Medien wie ein Tanzbär vor und aufs Glatteis führen lässt.

Der Seitenhieb auf Seehofer im selben Beitrag der ZEIT ist ein eigenes Thema und in Hamburger Wochenzeitungen erwartbar.

Nachtrag 10.8.2017:
Übermedien hat sich gestern eines anderen Beitrags der ZEIT angenommen, in dem Schulz (zu Unrecht) in ein schlechtes Licht gerückt wurde. Zusammen ergibt es ein Bild.

Vor 4 Jahren hat die ZEIT einen Artikel über den Postillon veröffentlicht: Geld verdienen mit Galgenhumor. Zwei Dinge sind daran zu erkennen: Erstens ist der Postillon weit über Galgenhumor hinausgewachsen, denn er enteilt heute in der Analyse gelegentlich den „seriösen“ Medien um Monate. Zweitens ist die ZEIT trotz aller Kritik eine Zeitung, die etwas zu bieten hat, heterogen mit Tiefen, aber auch mit Höhen. Keine Zeitung lese und verlinke ich häufiger.

Guido Reil aus der Nähe

Alle drei „linken“ Parteien haben sich durch die Unterwerfung unter Merkels preußisch-protestantischen Absolutismus für mich weitgehend unwählbar gemacht.
Letztlich steckt hinter diesem Hinterherlaufen ein fundamentaler Mangel an Urteilskraft, Orientierung und Standfestigkeit in entscheidenden Fragen der Gesellschaft.

Was also tun als ehemals linker und immer noch freidenkerischer Wähler?

Heute: Guido Reil im Wahlkampf beobachten und etwas dabei lernen

Guido Reil in München

Guido Reil dürfte vielen politisch Interessierten schon aus Zeiten bekannt sein, als er noch SPD-Stadtrat in Essen war. Die Gelegenheit, ihn live und aus der Nähe bei seinem Auftritt im Münchner Osten zu sehen und zu hören, wollte ich mir nicht entgehen lassen. Der Auftrittsort liegt auf meiner AfDPlakatRadstrecke von der Arbeit nach Hause. Also am Rosenkavalierplatz noch ein Brot eingekauft und dann zu seinem Auftritt. Was mich interessierte:

  • Wie kommt Reil aus der Nähe rüber und was sagt er?
  • Wie passt es zu dem, was sonst über ihn bekannt ist?
  • Gibt es bei dieser Veranstaltung offensichtlich rechtsradikale Sprüche oder Personen?
  • Gibt es gewaltbereite Gegendemonstranten?
  • Wieviele Personen aus welchem Publikum sind dort?

Die Kundgebung

Das Wichtigste in Kürze: Keine Nazis, keine gewaltbereiten Gegendemonstranten, viel freundlich-neutraler Polizeischutz, ca. 150  Zuhörer. Die Leute wirkten entspannt, wenn auch daran gewöhnt, am Rande zu stehen. Einer trug tatsächlich eine Baskenmütze. Das Publikum erinnerte mich so im Habitus ein wenig an die älteren Jahrgänge, die in den 80er Jahren an Friedensdemos teilnahmen.

Der örtliche, bayerisch-bürgerlich wirkende Bundestagskandidat Wilfried Biedermann (siehe Wahlplakat rechts) hat die Kundgebung mit einer 15-minütigen Ansprache eröffnet. Er berichtete ausführlich über die Schwierigkeit der AfD, Räume für solche Veranstaltungen zu mieten, weil die Wirte unter Druck gesetzt würden und ggf. Schwierigkeiten bekämen. Ein von ihm erwähnter Fall aus Eckernförde wird durch Presseberichte bestätigt. Deshalb fand die Kundgebung unter freiem Himmel an einem wenig vorteilhaften Ort statt. Biedermann machte deutlich, dass die AfD sehr wohl 2 Hauptthemen hat: die missglückte Eurorettung und Merkels Einwanderungspolitik. Im Schnelldurchlauf streifte er noch ein etwas größeres Themenspektrum, bevor er zügig das Mikrofon an Guido Reil abgab.

Reil, der bisher dahin zwanglos zwischen den Leuten herumspaziert war und Bücher signiert hatte, sprach dann leicht widerwillig („Is ja wie in de Ausgburger Puppenkiste“) aus dem dafür mitgeführten Wahlkampf-Anhänger statt von der Straße, weil ihn AfD-Television filmen wollte.

Der AfD-Television-Mann hat mich angesprochen, für wen ich schreibe, weil ich eifrig (ungefähr 5 Seiten) Notizen machte. Er hat vor Ort auch bereits gefragt, ob er meinen Beitrag verlinken darf, und das darf natürlich jeder gerne.

Was Guido Reil sagt

Reil geht quer durch die Themen, spricht flüssiger, freier und volkstümlicher als Biedermann. Sein Ruhr-Slang macht natürlich Spaß, ist aber wesentlich weniger stark als damals bei Adolf Tegtmeier. Was Reil sagte und wie er es sagte, muss ich hier nicht im Detail niederschreiben, denn es ist genau das, was er auch anderswo bereits gesagt hat:
Er spricht an keiner Stelle über die Vergangenheit, über Rassen, über Schuldkomplexe u.ä. Zeugs, sondern über die Gegenwart, über seine  Erfahrungen bei der Arbeit als Steiger im Bergwerk, als Schöffe bei Gericht und in der lokalen Politik, die Leute im Ruhrgebiet und in seinem Stadtteil Essen-Karnap. Er tobt nicht gegen Schuldkomplexe, sondern scheint solche schlicht nicht zu haben, so dass er recht entspannt seine Meinung zu aktuellen Themen aussprechen kann. Für einen Politiker ist das nach meiner Meinung eine erheblich bessere Voraussetzung. Es macht Spaß, ihm zuzuhören, und nicht etwa Angst, auch wenn er von Problemen spricht.

In diesem Video kann man sich einen guten Eindruck davon verschaffen, was Reil sagt und wie er es sagt. Als es im Februar gedreht wurde, war der Schulz-Hype noch in vollem Gang und seine Einschätzung klar: der Hype ist ohne jede nachvollziehbare Grundlage. Er kenne niemanden, auch nicht bei seinen Bekannten aus der SPD, der verstehe, worauf dieser Schulz-Effekt beruhe. Reil gleicht offensichtlich Berichte in Medien vernünftig mit persönlichen Erfahrungen ab und kommt so frühzeitig zu einem fundierten Urteil.

Diese Passage aus seinem Buch (S. 148) hat er sinngemäß auch in seine Rede hier in München eingebaut[1]:GuidoReilBuchSigniert
Ich kenne Integration und Zuwanderung, weil ich das mein ganzes Leben lang lebe und weil ich da wohne. Ich kenne das. Diese ganzen Vögel, die mir erzählen wollen, ich hätte Vorurteile, die kennen das nicht. Die haben darüber nur in Büchern gelesen, irgendwelche Studien gesehen. Aber gelebt haben die das nie. Ich will denen das ja auch nicht vorhalten. Jeder hat seine persönliche Wahrnehmung in seinem persönlichen Umfeld, Lebensumfeld und Wohnumfeld. Auch die Menschen, die an der Uni studieren und tagtäglich mit Migranten zusammen sind, die top integriert sind, die gibt es sicherlich auch. Nur die, die es an die Uni geschafft haben, die ticken schon ganz anders als die, die ich kenne. Es gibt unterschiedliche Realitäten, je nachdem von welchem Blickpunkt man sie sieht. So, ich habe meine…..Nur die Frage ist, warum wir die verschiedenen Standpunkte nicht einfach einmal zusammenführen und offen darüber sprechen können. Das ist das Problem.

Reil hat hier Recht: Der unangenehme Teil der Realität wird oft ausgegrenzt und diejenigen, die ihn (wie er) ansprechen, müssen mit der Moralkeule rechnen. Er leugnet nicht die positiven Beispiele, er hasst nicht, er hetzt nicht, sondern erzählt und argumentiert erstaunlich differenziert, wie man es in einer örtlichen Wahlkampfrede der AfD zunächst nicht erwartet. Er weiß, dass es viele Sichten auf ein Thema gibt und dass Politik darin besteht, sie so unter einen Hut zu bringen, dass der Zug nicht entgleist.

Fazit: Guido Reil ist OK und würde wahrscheinlich meine Erststimme bekommen, wenn ich im Essener Norden wohnen würde. Der Mann hat vielfältige Erfahrungen aus ganz verschiedenen Lebensbereichen einschließlich der Politik („alle Politik ist lokal“),  ist mutig, verantwortungsbewusst und keine Gefahr, sondern eine populäre Bereicherung für jedes Parlament, einer, der notwendige demokratische Debatten in Gang bringen kann und arrogante Politik von oben deshalb stört. Einer, der Demokratie wieder populär machen kann.
Dass jemand wie Reil gleichzeitig mit massiven Drohungen und offener Gewalt leben muss, ist ein bedrückender Zustand. Er hat bei seinem Auftritt in München erwähnt, dass ihm der Staatsschutz gerade mitgeteilt habe, dass wieder ein Stein in einem Fenster seines Hauses gelandet sei.

[1] Ich habe das Buch bisher nur durchgeblättert und darin quergelesen. Weitere interessante Passagen gibt es später bei Bedarf als Update unter diesem Beitrag.

Reil und die AfD

Nach dem oben Gesagten ist Reil in Vielem die fleischgewordene Antithese zu Höcke, und so ist  plausibel, was er selbst in dem oben verlinkten Video sagt: „Für das, wofür ich früher ein Linker war, bin ich jetzt ein Nazi.“ Diese Erfahrung haben in den letzten 10 Jahren viele gemacht, auch solche mit komplett anderem Hintergrund.
Es ist unstrittig, dass Reils Wahlkampf der AfD in NRW massiv genützt hat, wo sie vor allem in Ruhrgebietsstädten zweistellige Ergebnisse einfahren und nur so das Gesamtergebnis über das Niveau von Schleswig-Holstein heben konnte. Reil selbst hat lokal in Essen-Karnap und -Vogelheim über 20% erreicht. Er ist also ein Zugpferd bei den Wählern im Ruhrgebiet.
Andererseits ist völlig offen, wieviel Unterstützung er in seiner neuen Partei auf Dauer erhält, wie viele Mitglieder hinter ihm stehen und wieviel Einfluss er damit auf die Ausrichtung der Partei gewinnen kann. Es muss ihm klar sein, dass er möglicherweise für Ziele und Personen eingespannt werden könnte, hinter denen er nicht steht.
Es wird interessant bleiben, Guido Reil auf einem Weg zu beobachten, der garantiert nicht einfach ist. Man möchte ihm dabei gegen manchen AfD-Politiker so viel Mut und Selbstbehauptung wünschen, wie er sich gegen die SPD-Oberen zuletzt herausgenommen hat.

Die Vorteile des Mehrheitswahlrechts

Der Fall Reil legt auch die Schwächen unseres Wahlrechts offen: wer Guido Reil die Zweitstimme gibt, begünstigt mit großer Wahrscheinlichkeit letztlich einen Kandidaten, der über ihm in der Landesliste der AfD steht. Ein solcher kann ganz andere Inhalte vertreten als Reil, z.B. arbeitnehmerunfreundliche oder auch völkische. Die Kontrolle der Liste überfordert aber den Wähler und vermindert die Eigenständigkeit des einzelnen Abgeordneten gegenüber seiner Partei. Das sind entscheidende Nachteile des Verhältniswahlrechts, neben denen der Vorteil einer (rein arithmetischen) „Gerechtigkeit“ verblasst.

Das Mehrheitswahlrecht (egal ob mit einem Wahlgang wie in England oder einer Stichwahl wie in Frankreich) hat dagegen entscheidende Vorteile für die Demokratie:

  • Jeder Wähler muss sich letztlich nur um 2-3 Kandidaten in seinem Wahlkreis kümmern, hat also eine einfachere Entscheidung zu treffen
  • Er kann keine Unbekannten und U-Boote begünstigen, die von der Parteiführung in die Liste geschoben werden, sondern nur seinen (ansprechbaren!) Kandidaten
  • Der einzelne Abgeordnete wird gegenüber seiner Partei gestärkt
  • Es gibt in der Regel klarere Mehrheiten, also mehr demokratische Entscheidungsfähigkeit

Dass u.a. im englischen System der einzelne Abgeordnete viel stärker gegenüber seiner Partei und seinen Wählern viel stärker verpflichtet ist, zeigt sich in vielen Details. Beispielsweise führt der Tod eines Abgeordneten nicht zu einem Nachrücken von der Liste, sondern immer zu einer Neuwahl im Wahlkreis, einer sogenannten Nachwahl. Die Partei kann also nicht mauscheln, ohne sich damit erneut dem Wähler zu stellen.
Noch viel krasser ist die deutsche Macke, Abgeordnete zur „Rückgabe“ des Mandats aufzufordern, wenn sie eine Fraktion verlassen:
„Wenn sie es wirklich ehrlich meint, überlegt sie sich auch, ihr Mandat abzugeben…Sie wurde zwar direkt gewählt, aber es gibt niemanden, der von sich behaupten kann, dass er ohne die AfD im Rücken gewählt worden wäre.“
Meine Frage: Hat ein deutscher Abgeordneter seine Partei mehr im Rücken, im Kreuz oder im Nacken? Im Streit immer Letzteres! Und diese falsche Idee findet man identisch in allen deutschen Parteien: FDP, SPD, CDU, CSU, Grüne, …..VogelZeigen
In diesem Punkt stehen sie alle der AfD näher, als beide Seiten jemals zugeben würden. Diese Forderung ist eine echte deutsche Macke, eine autoritäre noch dazu, im Grunde sogar verfassungswidrig.
Ein Engländer, der eine solche Forderung nach „Rückgabe“ des Mandats (nicht an die Wähler wohlgemerkt, sondern an eine Partei) hören würde, würde sich spontan an die Stirn tippen.

 

Mehrheitswahlrecht bedeutet das Recht des Wählers, Leute wie Reil aktiv fördern und Leute wie Poggenburg oder Höcke aktiv schwächen zu können. Mehrheitswahlrecht bedeutet, dass ein Abgeordneter sich in erster Linie vor seinen Wählern rechtfertigen muss, nicht vor seinen Parteioberen. Mehrheitswahlrecht bedeutet mehr Demokratie, nicht weniger. Wenn man ein wenig praktisch und an solchen Beispielen darüber nachdenkt, gibt es keinen anderen Schluss.

Zeichen an der Wand für die SPD

So unklar heute ist, welche Rolle Reil in der AfD sinnvoll spielen kann, so klar ist gleichzeitig, was er für die SPD bedeutet: er ist das Zeichen an der Wand für ihren beschleunigten Niedergang. Parallel zum Austritt des Guido Reil haben sich in ihrer ehemaligen Hochburg Essen verwandte Probleme der SPD mit dem Fall der Bundestagsabgeordneten Petra Hinz spektakulär manifestiert.

Reil ist gleichzeitig bei weitem nicht das einzige Beispiel eines regionalen Zugpferds, das von der SPD-Führung im Streit um die Flüchtlingspolitik aus der Partei geekelt worden ist. Die SPD ist offensichtlich schlechter als die CDU in der Lage, abweichende Meinungen von Merkel-Kritikern in dieser Frage zu tolerieren, eine beinahe schon absurde Situation. Die SPD ist heute im Inneren illiberaler als die Union, ein kleines Kunststück und ein politischer Offenbarungseid!

In der Fragerunde nach seiner Rede, von der ein kurzer Mitschnitt bei AfD-Television verfügbar ist, hat Guido Reil einen klugen Artikel erwähnt, den die ZEIT über ihn und die SPD veröffentlicht hat. Sehr lesenswert!

Vieles spricht dafür, dass der Aderlass der SPD bei der Bundestagswahl ungebremst weitergehen wird. Zu viele Wähler haben gerade auch im Zuge der Auseinandersetzung mit Reil und anderen gemerkt, dass sie diese Partei fälschlicherweise für ihre politische Heimat gehalten haben. Die SPD steckt in einer Falle, die Merkel ihr gestellt hat. Der Niedergang der SPD könnte so das große Ereignis des Jahres 2017 auch in Deutschland werden. Die niederländischen und die französischen Sozialdemokraten sind ihr noch weit voraus, aber die Richtung ist dieselbe. Die SPD ist dabei, gesellschaftlich so irrelevant bzw. ärgerlich zu werden, wie es die Bücher von Martin Schulz bzw. Heiko Maas schon heute sind.

Nachtrag 5.7.2017:
Nach den WhatsApp-Protokollen um Poggenburg in Sachsen-Anhalt, bricht der Konflikt um die extrem rechte AfD-Führung um Höcke in Thüringen jetzt ebenfalls offen aus. Niemand braucht mir zu erzählen, dass das alles nur eine Kampagne ist.
Die Konflikte liegen in der Sache und sind unvermeidbar. Die meisten Wähler wollten eine wählbare Alternative zu CDU und SPD, keine rechtsradikale Kaderpartei.
Es wird jetzt spannend werden, ob sie Poggenburg und Höcke tatsächlich noch loswerden oder nicht. Daran wird sich zeigen, welche Autorität Gauland, Weidel, Petry, Pretzell & Co. auf die Beine stellen können u.a. mit Unterstützung von Reil. Wenn sie das nicht schaffen, schaffen sie sich zur Bundestagswahl ab.

Nachtrag 17.7.2017:
Die Hetzjagd gegen Wirte nimmt immer krassere Formen an. In München schließt jetzt eine sizilianische Pizzeria nach einer Kampagne. In diesem Fall ging es nicht einmal um eine politische Veranstaltung, sondern um PEGIDA-Leute, die sich privat in der Pizzeria getroffen haben. Von dem Wirt wurde verlangt, er müsse sie aussperren. Auf welcher Grundlage? Und wie so oft, wenn es um Gesinnungsschnüffelei und eine Treibjagd geht, befindet sich mittendrin: ein SPD-Stadtrat.

Nachtrag 4.9.2017:
Ich habe mir das Buch von Guido Reil als eine von mehreren Urlaubslektüren durchgelesen, und mein Urteil bleibt dasselbe: Reil ist kein Extremist, sondern im Grunde ein anständiger Kerl mit einer ganzen Menge wertvoller praktischer Erfahrungen.
Das Buch ist recht umgangssprachlich und oftmals auch mit Wiederholungen geschrieben. Es liest sich aber recht flüssig und kurzweilig.
Die großen Stärken Reils liegen in dem, was er im Laufe seine praktischen Lebens in Beruf, Ehrenamt und Stadtpolitik erlebt hat und anschaulich berichtet. Richtig gut und differenziert schreibt er zum Beispiel auch über die Energiepolitik: Nein zur weiteren Steinkohleförderung in Deutschland, Ja zur Kohleverstromung in Deutschland und zur Nutzung teurer, bereits bezahlter Investitionen dafür.
Bei anderen Themen, zum Beispiel dem weiteren Ausbau der (nicht etwa der Erhaltung der vorhandenen) Verkehrsinfrastruktur geht er mir zu sehr zurück zu einem alten (industriellen) Fortschrittsbegriff. Da steckt auch eine Menge Nostalgie drin, die ich nicht teile. In keinem Fall trifft Reil in dem Buch aber Aussagen, die ihm die Meinungsfreiheit nicht zugestehen würde: Reil ist definitiv kein Hassprediger.

Oops, they did it again

Die Briten haben uns wieder mit einer Wahl überrascht.
(Die machen sowas immer wieder: 1945 haben sie so den Sieger des 2. Weltkriegs, Churchill, abgewählt. In Deutschland hätte der mindestens 20 Jahre weiterregieren dürfen.)

Labour hat 31 Sitze dazugewonnen, obwohl Labour-Chef Jeremy Corbyn unglaublich viele mächtige Player gegen sich hatte und hat:

Er  hat sich ganz auf eine Graswurzelkampagne verlassen und damit gut 40% der Stimmen geholt. Das ist bemerkenswert, und es gibt Gründe dafür:

  • Es ist ihm zugute gekommen, dass er vom Labour-Establishment angegriffen wurde, weil er zu wenig gegen den Brexit gekämpft habe. Es war sogar völlig klar, dass er ein linker Euroskeptiker ist. Genau deshalb ist es ihm gelungen, viele ehemalige Stimmen der kollabierten UKIP zu Labour zurückzuholen. Weil er gleichzeitig ein moderater Euroskeptiker ist, hat er Remainer nicht von einer Stimmabgabe abgehalten. Entscheidend ist, dass er in der EU-Frage seinen linken Grundsätzen absolut treu geblieben ist und sich nicht durch internationale Abmachungen hat verbiegen lassen. Die EU ist für ihn nur insofern ein Thema, als sie normalen Briten nützt, nicht mehr aber auch nicht weniger: Prinzipientreue als taktischer Vorteil!
  • Überhaupt hat er von seiner hohen persönlichen Authentizität und einem absolut gelassenen Wahlkampf profitiert. Damit hat er die Schwäche der Premierministerin ohne Polemik aber sehr wirksam offengelegt.
  • Mit seinem gelassenen Wahlkampfstil hat er auch beim brandaktuellen Thema Terror enorm gepunktet. Seine hervorragenden Redefähigkeiten kann man in diesem Video beim Thema Terror verfolgen.

Das sagt Corbyn zum Terror:

  • Seine Solidarität mit dem leidenden britischen Volk ist 100%ig: kein Vorwürfe an normale Briten, insbesondere kein Vorwürfe an die Briten, dass sie Rassisten seien und selbst schuld, weil sie die islamischen Terroristen nicht genug integriert hätten
  • Er dankt für die Arbeit der Polizei und der Einsatzkräfte und kündigt an, dass eine Labour-Regierung mehr Polizisten auf die Straße bringen und sie besser ausstatten würde: keine Berühungsängste mit normaler Sicherheitspolitik im Inland bei diesem „Linksaußen“.
  • Er kritisiert den militärischen Interventionismus in der islamischen Welt und den Krieg „gegen den Terror“, der Großbritannien nicht sicherer, sondern unsicherer gemacht habe. Das ist eine klassische linke Position, von der Corbyn nie abgewichen ist und die auch kaum zu widerlegen ist. Er ist (im Gegensatz zu den Blairiten) in dieser Frage extrem glaubwürdig. Zudem ist auch diese Position bis weit in die konservative Wählerschaft hinein anschlussfähig. Viele denken so, auch in Deutschland, werden aber von den meisten (auch nominal linken) Politikern ignoriert bzw. de facto doch ständig verraten.
  • Gleichzeitig betont er nochmals ausdrücklich, dass diese Hintergünde die Verbrechen der Terroristen in keiner Weise rechtfertigen oder mindern.
  • Er betont ausdrücklich die britischen Werte, u.a. das Recht junger Frauen auszugehen, wie sie es wollen, und das Recht auf die freie Rede.
  • Er beschimpft an keiner Stelle Andersdenkende beim Thema Terrorismus, auch nicht Briten, die gegen Terroristen oder Terrorverdächtige ein schärferes Vorgehen fordern. Insbesondere fällt in seinen Reden nicht das Wort „Nazi“ oder „Pack“ gegen Mitbürger, die Angst haben vor der objektiv vorhandenen Terrorgefahr aus dem islamischen Umfeld. In anderen Reden erwähnt er, dass er Beschimpfungen (name calling) grundsätzlich ablehnt.

Quintessenz: Er hat einen extrem positiven Wahlkampf mit glaubwürdigen linken Positionen gemacht, ohne Andersdenkende auszugrenzen. Das ist hochrespektabel.

Corbyn

Gleichzeitig muss man die britischen Wähler bewundern, die die Schwächen der ehemaligen Innenministerin Theresa May (und damit der konservativen Politik) beim Thema Terror erkannt und Corbyn zugehört haben. Sie haben sich einfach überzeugen lassen und ein Ergebnis gewählt, das noch vor 14 Tagen unvorstellbar war.

Es ist gut für die Demokratie, wenn Wahlen nicht mit billigen Phrasen bestreitbar und ausrechenbar sind, sondern der Wahlkampf einen großen Unterschied machen kann. Beides haben Corbyn und die britischen Wähler geliefert. Die Hoffnung, die er großen Teilen der britischen Gesellschaft damit gegeben hat, ist in der aktuellen Situation Gold wert. Und auch das Ergebnis, nicht Regierung, sondern gestärkte Opposition zu sein, ist für Corbyn, Labour und das Land gut. Es ist Blödsinn, dass es für das Land besser gewesen wäre, wenn May mit ihrem schwachen Auftritt gestärkt worden wäre. Das muss man nicht glauben, auch wenn es in jeder zweiten Zeitung steht. Dieser Glaube an starke Regierungen nervt einfach. Mir ist starke Opposition wichtiger. Und Parteien, die Opposition ‚Mist‘ finden, sind sowieso verdächtig.

Die deutsche Linke muss einfach sehen, dass sie neben Corbyn größtenteils alt aussieht. Wenn eine Linke, dann so eine! Kein Mensch braucht eine Linke, die nicht links ist, eine Linke, die am Rockzipfel der Konservativen hängt, eine „deuxième droite“, eine zweite Rechte, wie das die Franzosen nennen. Die deutsche SPD und die französischen Sozialisten sind genau das: weder Fisch noch Fleisch, sondern eine schlechtere Rechte, meinen auch die Nachdenkseiten und bejubeln Corbyn.
Sie könnten schon Recht haben, dass das Ende der Alternativlosigkeit absehbar ist, auch wenn es auf dem Kontinent noch etwas länger dauert. Corbyns Mut und Erfolg sind ab sofort ein Problem für alle Feiglinge, Duckmäuser und angeblich linken Parteien, die das eigene Volk nicht verteidigen, sondern verachten und belehren.

Ein guter Tag für die Demokratie und damit ein guter Tag für Europa!

Nachtrag 10.6.2017:
Brillanter Kommentar von Wolfgang Herles: Anmerkungen über die Briten
„In Deutschland dagegen wird die Arroganz der Macht als Stärke verehrt.“
Besser kann man es nicht sagen!
Und auch die ersten U-Boote sind bereits unter Corbyn-Flagge unterwegs: Corbyn als Idol. Ausgerechnet Kipping, die die Neoliberalisierung auch der Linken betreibt, an Merkels Rockzipfel hängt, beruft sich auf Corbyn. Gleichzeitig betont sie, dass sie die Privatisierung der Autobahnen nicht so bedeutsam findet. Das ist Wählerbetrug!

Nachtrag 20.6.2017:
Die Schwarzmaler-Berichte über Großbritannien streben einem neuen Höhepunkt entgegen: Ohne Mehrheit und ohne klares Ziel, Ein Land ist entsetzt. Die Frage ist, ob solche Berichte mehr über das Land aussagen, das sie beschreiben, oder das Land, in dem sie veröffentlicht werden. Wer hat je nach einem „klaren Ziel“ der Regierung Merkel gefragt? Wohin wurde das Entsetzen Bei Terror in Deutschland verbannt?

Nachtrag 25.6.2017:
Die Süddeutsche Zeitung hat am gleichen Tag einen Artikel mit dem gleichen Titel geschrieben: Oops, they did it again.
Der völlig andere Tenor ist bezeichnend für den deutschen Mainstream: „Verunsicherung“. Man darf die Leute auf keinen Fall verunsichern, schon gar nicht durch Abstimmungen. Ruhe ist die erste Bürgerpflicht, nicht Mitbestimmung. Da steckt sehr viel altdeutsches Denken drin, auch wenn es (wie bei der SZ) liberal oder links lackiert ist.

Grübeln und Grummeln mit der CSU

Alle drei „linken“ Parteien haben sich durch die Unterwerfung unter Merkels preußisch-protestantischen Absolutismus für mich weitgehend unwählbar gemacht.
Letztlich steckt hinter diesem Hinterherlaufen ein fundamentaler Mangel an Urteilskraft, Orientierung und Standfestigkeit in entscheidenden Fragen der Gesellschaft. Was also tun als ehemals linker und immer noch freidenkerischer Wähler?

Heute:  Mit der CSU im Festzelt sitzen und für Angela den Horst machen

Groß angekündigt war die endgültige Versöhnung zwischen unserem König Horst  und der preußischen Duodezfürstin CSUPlakatMerkel bereits lange im Voraus, ein überregional beachtetes Ereignis. Es war ja auch Zeit nach dem langen Streit um Kleinigkeiten grenzenlose Zuwanderung.

Mit Anlauf zur großen Versöhnungsshow

Das Hofbräuhaus Festzelt steht in München-Trudering an der Wasserburger Landstraße 32, also im „Niederbayern von München“, nicht weit von Berg am Laim,
VomMichaelibadZumFestzeltTrudering
ein sozial schwieriger Bezirk und durch sein Michaelibad sogar in Berlin bekannt.
Ich habe meine 4,5 Kilometer nicht zu Fuß, sondern mit meinem guten Fahrrad zurückgelegt und es dann vor dem Festzelt abgestellt:
FestzeltMitFahrradAber für 18:11 Uhr (um 19:00 Uhr sollte die Kundgebung starten) kam es mir schon ein wenig leer vor, und das schon bei der Anfahrt zu diesem ganz unscheinbar sympathischen bayerischen Stadtteilfest:FestwocheTrudering2017Im Festzelt spielte natürlich der Musikverein München-Trudering, der sich zu überkommenen bunten Werten bekennt:
TrueDerHeimat

Abend ohne Versöhnung

Aber mit einer Mass Weißbier

Im Festzelt habe ich mich zu einem sympathischen Franken gesetzt, der seit 31 Jahren in München lebt. Er wusste schon, dass die Versöhnung dem Terror zum Opfer gefallen ist bzw. die Veranstaltung  wegen der Pietät abgesagt worden war. Dabei soll doch der Terror die neue Normalität sein, an die wir uns gewöhnen müssen. Da kann man doch nicht wegen eines durchschnittlichen kleinen Anschlags eine Versöhnung von nationaler Bedeutung einfach absagen! So wird das nichts mit der Gewöhnung, wenn man immer alles absagt. Später sind dann die beiden CSU-Abgeordneten, Blume (links) und Stefinger (rechts) nochmals für eine Schweigeminute auf die Bühne gekommen und der Musikverein Trudering hat die Musik unterbrochen:

Schweigeminute
Unions-Abgeordnete beschweigen den Alltag in Manchester-Europa

Zwischenzeitlich hat mir der Franke gestanden, dass er CDU wählen würde, wenn es sie in Bayern gäbe. Ich konnte ihm dazu nur sagen, dass ich vielleicht CSU wählen würde, wenn Merkel nicht ihre Spitzenkandidatin wäre. Wie der Zufall so spielt, hatte der Franke gute Bekannte in Mulhouse im Elsass. Dort bei den Franzosen sei das ja alles nicht so toll gelaufen mit der Integration, wegen der Banlieues. Und die Franzosen schafften das mit den Reformen leider nicht, wegen der CGT: Der ganze Schmus, den die Presse eben so schreibt, um den Deutschen einzureden, nur die anderen machten Fehler und sie seien auf einem besseren Weg.
Einig waren wir uns aber, dass die Sozialdemokraten das mit der Bildung und den Schulen nicht auf die Reihe bekommen und dass sie den Leuten deshalb ein X für ein U vormachen können. Schon als Schüler habe ich die Schulpolitik der SPD nicht verstanden: was sollte falsch daran sein, wenn in der Schule viel gelernt statt gelabert wird? Ich konnte ja damals nicht ahnen, dass das Scheitern an der Schule das Scheitern der SPD an der ganzen Welt praktisch unweigerlich nach sich ziehen würde. Jeder scheitert eben auf seine Weise.

Der schlaue Seehofer und die CSU

Dass Horst Seehofer sein Handwerk versteht, kann man auf diesem Video von 2015 nachvollziehen: Er war ehrlich geschockt, hat aber trotzdem richtig und verantwortungsbewusst argumentiert und die Contenance gewahrt. Damit, dass er sofort erkannt hat, dass dieses Ereignis Deutschland und Europa tief umwälzen wird, war er den meisten deutschen Politikern weit voraus. Ein Sigmar Gabriel hat dagegen zu keinem Zeitpunkt zu erkennen gegeben, dass er überhaupt versteht, was für ein Problem da auf das Land zukommt.
Seehofer ist auch anschließend keinem öffentlichen Streit mit Merkel über den richtigen Kurs aus dem Weg gegangen und hat damit für alle in Deutschland den Raum der aussprechbaren Wahrheiten offengehalten. Und heute sehen ihn viele als Sieger über Merkels zwischenzeitliche Politik, von der ja auch nur noch der Glorienschein übrig ist, auch wenn das die Hamburger Journaille natürlich niemals zugeben wird.

Dass Seehofer auch schon früher Dinge klar erkannt und den Zeitgeist kritisiert hat, zeigt dieser wütende Artikel von 2004: Seehofer, der aus dem Arbeitnehmerflügel der CSU  stammt, hat mit dem heutigen Herausgeber der Nachdenkseiten Albrecht Müller die Riester-Rente als schlechtes neoliberales Projekt kritisiert und beide sind inzwischen vom Gang der Dinge bestätigt worden.

Keine Frage:
Horst Seehofer ist ein hellsichtiger Politiker, der Konflikten um die Sache zu Recht nicht aus dem Weg geht und dafür von der Presse bekämpft wird. Je feindseliger Hamburger Blätter über einen  Politiker schreiben, mit umso mehr Wohlwollen und Sorgfalt sollte man ihn sich ansehen.

Im letzten Bundestagswahlkampf 2013 habe ich einen CSU-Kandidaten am Wahlkampfstand auf Horst Seehofers „rote Linien“ bei der Eurorettung angesprochen und die Ansicht geäußert, dass diese Linien ja wohl keinen Bestand haben könnten. Er hat sich wortlos umgedreht und mich stehenlassen. Die roten Linien sind natürlich längst vom Winde verweht worden. Mittlere Chargen bei der CSU mögen es ebenso wenig wie bei der SPD, wenn jemand den Konsens stört, dem sie sich unterworfen haben. Ist das schon die Verpreußung der CSU?

Trotzdem bin ich inzwischen der Ansicht, dass die CSU in Bayern meist erheblich bessere Politik macht als die SPD oder die CDU in irgendeinem Bundesland. Und die „Liberalitas Bavariae‘ existiert wirklich, denn ein Befürworter von Merkels Grenzöffnung (wie der Franke von meinem Tisch oder der Schwabe Theo Waigel) kann in Bayern in besserem  Frieden leben als eine erklärte Gegnerin von Merkels Politik jenseits des Mains.

Warum es Bayern besser hatteschicksalimmigranten

Im „Schicksal der Immigranten“ behandelt Emmanuel Todd auch die erste große Asylwelle von Anfang der 90er Jahre und die Gewalttaten gegen Einwanderer (Mölln, Solingen, …) und schreibt:
„Insbesondere in Ländern, die sich eine gewisse Ländlichkeit bewahrt haben und, wie Schleswig-Holstein, protestantisch sind, liegt der Prozentsatz der Gewalttaten besonders hoch, während er im katholischen Bayern sehr niedrig ist. Ein weiteres Mal scheint das Verlangen nach sozialer Homogenität in protestantischen Gebieten weit stärker zu sein, während die katholische Tradition mit der Andersartigkeit besser zurechtkommt. Bayern, das für sein hartes Vorgehen bei der Ausgrenzung von Ausländern berühmt-berüchtigt ist, toleriert deren Gegenwart auf dem eigenen Territorium sehr viel besser, weil es weniger dem Ideal der deutschen Homogenität anhängt. Eine Regel bringt den Geist des bayerischen Differentialismus auf den Punkt: Ausländer, die die deutsche Staatsbürgerschaft haben wollen, müssen den lokalen Dialekt beherrschen.“

Man kann diesem überaus klugen Franzosen nur dazu gratulieren, dass er dieses scheinbare Paradox sehr viel besser erfasst hat als die meisten preußischen Politiker. Bayern spielt nach außen hart und nimmt die Einwanderer im Inneren (wenn sie es wert sind) freundlich auf, während man es in Preußen gerne anders herum hält: Die politische Elite hat die Willkommenskultur auf den Lippen und das Sozialghetto in der Hinterhand. Die moralische Schuld an Konflikten wird dann bei den Deutschen abgeladen, die ebenfalls dort wohnen. „Dunkeldeutschland“ ist die unvermeidliche Schattenseite des vor der Welt zur Schau gestellten protestantischen Edelmuts und wird als „nicht mehr mein Land“ heuchlerisch abgeschoben. Die notwendige, meist nur angedeutete, oft vorgetäuschte, aber immer begrenzte Härte des bayerischen Staates dagegen hält die Bürger selbstlos ab von abscheulicher und sinnloser Gewalt gegen Einwanderer, nicht aber die psychisch labilen Einwanderer, die zumindest in der Presse sehr zahlreich sind.
Der bayerische Ministerpräsident lädt sich dieses Kreuz jederzeit freiwillig auf den Rücken und wirft sich selbst so den Anfeindungen des preußischen Unverstands zum Fraß vor. Nach über 21 Jahren bayerischer Staatsbürgerschaft ist es Zeit, dass ich ihm für diese Passion einmal meinen tief empfundenen Dank ausspreche.

Auf dem Heimweg  mit dem Radl an einem Fußballplatz aufgenommen:
Fußballplatz

Seehofers Dilemma und
die heimliche Einigkeit der Journaille mit der AfD

Das Dilemma des Horst Seehofer, sein Gepolter und seine taktische Beweglichkeit im Umgang mit Angela Merkel sind verständlich. Er ist nun einmal der Vorsitzende der CSU, der Schwesterpartei der CDU, deren Vorsitzende nun einmal Angela Merkel ist. Wenn er versucht hat, Merkel zu stürzen, hat es nicht geklappt, aber es hat ganz sicherlich geklappt, Merkels verunglückte Willkommenskultur zu beenden. Deshalb habe ich auch Verständnis für Leute, die trotz allem bei der Bundestagswahl CSU wählen. Alternativen sind nun einmal Mangelware. Und wenn die AfD behauptet, dass Seehofer nur heiße Luft produziert, dann ist das höchstens die halbe Wahrheit und zufällig genau das, was auch die Hamburger Magazine behaupten. Dabei ist die Produktion von heißer Luft eine Kernaufgabe von Politikern. Die Produktion von heißer Luft durch Martin Schulz hat die Hamburger Journaille schließlich auch bejubelt. Der Hohn kam erst, als ihm die Luft weggeblieben ist.

Und der blinde Hass der Journaille gegen Seehofer war in dem Moment entlarvt, als Merkel-Freund Laschet dieses Wahlplakat hat kleben lassen, um die Wahl doch noch zu gewinnen:cdusicherheit-674x4501

Ohne dass sich die Journaille darüber so empört hätte wie über Seehofers Obergrenze!

Bei allem Respekt für Seehofer kann ich eines aber nicht: bei der Bundestagswahl CSU wählen. Schließlich habe ich noch niemals Merkel gewählt. Und dabei wird es bleiben. Mir san schließlich mir.

Nachtrag 24.05.2017:
Es war mir bisher nicht einsichtig, warum Merkel und Seehofer diesen Abend wegen eines Attentats in Manchester abgesagt haben, auch wenn es sich um ein schlimmes handelt. Ein Deutschland-Bezug des Attentäters wäre aber tatsächlich ein Grund, der das verständlich machen würde. In diesem Fall hätte dieser allerdings schon gestern zur Mittagszeit bekannt gewesen sein müssen, als die Absage offiziell gemeldet wurde.
Es ist also sehr wohl möglich, dass diese Absage einen sehr ernsten Hintergrund hat, der in den nächsten Stunden und Tagen offenbar wird und dass die Absage unter diesen Umständen nicht nur richtig, sondern auch unvermeidbar war.

Nachtrag 26.5.2017:
Die FAZ meint, dass dem oben beim Schweigen gezeigten Landtagsabgeordneten Markus Blume die Zukunft der CSU gehören könnte:
ZukunftDerCSU

Nachtrag 28.5.2017:
Das gemeinsame Auftritt von Merkel und Seehofer in Trudering ist heute nachgeholt worden. Trump war so nett, Ablenkung zu bieten vom alten Streitthema. Und beim Heben der Mass ist sie ja schon immer gut dabei.

Nachtrag 29.5.2017:
Weltweite Resonanz zu Merkels Rede im kleinen Trudering: „Das ist ein enormer Wandel der politischen Rhetorik
Das ehemalige Nachrichtenmagazin Spiegel übertrifft sich bei der Lobhudelei selbst:
MerkelMitKrug
Das Bild dürfte der persönlichen Maskenbildnerin einiges zu denken geben, sonst aber niemandem: Medien, evangelische Kirche und auch die Opposition in einem Boot. So ist in Preußen die Demokratie auch vor Wahlen sicher.

Nachtrag 5.6.2017:
Der Beitrag über Markus Blume in der FAZ jetzt online.

Nachtrag 19.7.2017:
32% der Bayern befürworten (angeblich) die Abspaltung Bayerns von Deutschland. Darüber wird zu gegebener Zeit zu sprechen sein.

Nachdenken über die FDP

Alle drei „linken“ Parteien haben sich durch die Unterwerfung unter Merkels preußisch-protestantischen Absolutismus für mich weitgehend unwählbar gemacht.
Letztlich steckt hinter diesem Hinterherlaufen ein fundamentaler Mangel an Urteilskraft, Orientierung und Standfestigkeit in entscheidenden Fragen der Gesellschaft.

Was also tun als ehemals linker und immer noch freidenkerischer Wähler?

Heute: Einen unvoreingenommenen Blick auf die FDP werfen

Ja, die FDP war ganz schön lächerlich

Lächerlich war der Glaube der FDP-Anhänger daran, dass es in unserem Wirtschaftsleben immer  gerecht zugeht, nur weil die eigene Klientel in der Regel zu seinen Gewinnern zählt. Peinlich war die soziale Ignoranz hinter dem Unwort von der „Spätrömischen Dekadenz“, die sich eben nicht bei kleinen Handwerkern und Arbeitnehmern im internationalen Wettbewerb findet, während gerade FDP-Domänen wie Apotheker durch staatliche Regeln vor demselben Wettbewerb geschützt werden.

Die Beschränkung einer liberalen Partei auf das Thema Steuersenkungen war lächerlich, lange vor der letzten Koalition mit der Union. Noch lächerlicher war es dann allerdings, sich in dieser Koalition ohne Steuersenkungen bzw. mit einer Steuersenkung nur für Hoteliers abspeisen zu lassen, statt den Mut zu haben, diese Koalition dann eben auch aufzukündigen. Und die Enttäuschung über die forschen Steuerreden (ohne Taten) der FDP wirkt ja (zu Recht) nach:

DurchschnittsverdienerFDP

Die FDP hatte es verdient, aus dem Bundestag zu fliegen. Aber nach vier Jahren, in denen sich auch ihr Fehlen dort negativ auf die Debatten bzw. den Mangel daran ausgewirkt hat, ist ein neues Nachdenken über mehr FDP angesagt. Immerhin hat sich in diesen 4 Jahren auch herausgestellt, dass Westerwelles Enthaltung im Falle von Libyen nicht nur sympathisch, sondern (wie Schröders Nein zum Irakkrieg) voll und ganz gerechtfertigt war.

Was also hat die FDP heute und für die Zukunft an Plus- und Minuspunkten zu bieten?

Pluspunkte

  1. Die FDP hat sich zwar vorsichtig, aber frühzeitig, klug und mehrfach von Merkels Willkommens-„Kultur“ distanziert. Dass die Partei in der Frage den Kopf frei hat, hat Christian Lindner kürzlich bei einer Buchvorstellung bestätigt.
  2. Bei einer Veranstaltung der FDP München Nord im Frühjahr 2016 konnte ich mich überzeugen, dass im Umfeld der FDP ausgesprochene Gegner der Masseneinwanderung von 2015 und Leute, die sich um Eingewanderte kümmern, konstruktiv diskutieren können, ohne sich gegenseitig als „Nazis“ oder „Gutmenschen“ zu betrachten, auszugrenzen oder zu beschimpfen. Auch damit dürfte die Partei ziemlich alleine dastehen.
  3. Die FDP hat einen gesunden Sicherheitsabstand zum ethnischen Nationalismus. So katastrophal die ungeregelte Masseneinwanderung von 2015 für die Sicherheit der deutschen Staatsbürger auch war, so katastrophal wäre es, wenn Zweifel über den Status von legitimen und anständigen Staatsbürgern wegen ihrer Herkunft oder Hautfarbe Raum erhalten würden.
  4. Von den Leitkulturschwätzereien der Konservativen, die zwischenzeitlich so erbärmlich versagt haben, hat sich Christian Lindner schon 2015 abgesetzt. Es geht nicht um hohle Beruhigungsformeln über eine vage „Kultur“, sondern um feste Regeln und klare Rahmenbedingungen für Bürger und Einwanderer, die ansonsten frei sind, ihr Leben zu gestalten.
  5. Nach Jahrzehnten eines unvernünftigen Neoliberalismus (für Banken und Konzerne) droht eine Welle des Kollektivismus. Die Tendenz ist zwar verständlich, aber auch gefährlich, weil es gerade in den linken Parteien an Personen mit Wirtschaftskompetenz mangelt. Statt der wünschenswerten besseren Bedingungen für Arbeitnehmer und Geringqualifizierte könnten wir leicht in eine inkompetente und bürokratische Mangelbewirtschaftung von links rutschen. Man muss Angst haben vor dem Tag, an dem Andrea Nahles und Katja Kipping gemeinsam ihren 5-Jahres-Plan vorstellen. Eine vernünftige Dosis FDP im Bundestag ist da schon wünschenswert, natürlich gerne mit einem kompetenten linken Gegenpart (der aber bisher außer in der zunehmend einsamen Person von Sahra Wagenknecht noch nicht erkennbar ist).
  6. Wenn man von einer Partei Unterstützung für die Freiheit auch unbequemer und ungehobelter Meinungen erwarten kann, dann von der FDP. Die Zensur, die heute der linksautoritäre Heiko Maas vorantreibt, könnte in wenigen Jahren auch von einer rechtsautoritären Regierung genutzt und ausgebaut werden. Wehret den autoritären Anfängen! Links und rechts sind im Zweifel nur ein brüchiges Feigenblatt für die autoritären Zwerge, die einen übermächtigen Staat installieren wollen.
  7. Die FDP hat also auf mehreren Feldern das Potenzial, als bürgerlicher Keil links und rechts zu trennen und als Sperrminorität im Parlament und in Koalitionen gegen Unsinn zu wirken. Sowohl einer Linken als auch einer AfD, die neben manchem Richtigen auch viel gefährlichen Unfug verkünden, kann das im Grunde nur helfen, zur Vernunft zurückzukehren.
  8. Kubicki und Lindner sind ein starkes Team aus einer erfahrenen und einer jungen Führungskraft, die sich langfristig ein Profil geschaffen und auch Stehvermögen in der FDP-Krise der vergangenen Jahre gezeigt haben. Beide haben ihre Fraktionen im Landtag gehalten, als die FDP andernorts rausgeflogen ist.
  9. Die Leistungsorientierung der FDP in Bildung und Beruf ist wertvoll angesichts grassierender Senkung von Anforderungen (außerhalb Bayerns, wo die CSU noch die Fahne hochhält)
  10. Die FDP müsste nach menschlichem Ermessen Rechnungen mit den richtigen Personen offen haben.

Minuspunkte

  1. Die FDP hat mit Lindner und Kubicki noch zu wenig Breite beim Spitzenpersonal.
  2. Das Freihandelsdogma der Wirtschaftsliberalen scheint inzwischen (mit Brexit und Trump) ziemlich viel Gegenwind zu bekommen. Immerhin ist es in diesem Umfeld besser erträglich als mit dem Rückenwind der vergangenen Jahrzehnte.
  3. Die soziale Ignoranz gegenüber Dumping-Löhnen und Billigimporten ist der FDP nur schwer  abzugewöhnen.
  4. Elitismus und Anti-Nationismus sind auch in der FDP zuhause.
  5. Die FDP war schon immer völlig ignorant, wenn es darum ging, einseitig die Beitragszahler in den gesetzlichen Sozialkassen mit allgemeinstaatlichen Lasten wie aktuell mit den Krankheitskosten für Flüchtlinge zu belasten. (Wenn es sich hier auch um schäbige Klientelpolitik handelt, so ist es doch umso erstaunlicher, dass auch die „linken“ Parteien das nicht anders fordern und nicht einmal  thematisieren, sondern das Thema ganz der AfD überlassen).
  6. Die FDP hat alle Euro-Rettungspakete (die nichts gerettet haben außer Banken) entgegen ihrem Mantra von der Selbstverantwortung in der schwarzgelben Bundesregierung mitgetragen und steht dafür weiter in der Mithaftung. Dass es dagegen erheblichen Widerstand und unter anderem einen Mitgliederentscheid gegeben hat, ist nicht mehr als eine Ehrenrettung für das liberale Lager.
  7. Die transatlantische Nibelungentreue versucht die FDP wohl auch über das rhetorische Trump-Bashing hinweg zu retten. Es ist aber unklar, ob ihr das gelingen wird.

Fazit

– In Schleswig-Holstein mit dem bewährten (und trotzdem unbelasteten) Spitzenkandidaten Kubicki würde ich am Sonntag sicherlich FDP wählen, wenn ich kein Bayer wäre.

– In NRW würde ich bestimmt ebenfalls den Hoffnungsträger Lindner und damit die FDP wählen, um Rot-Grün abzulösen, ohne ausgerechnet Merkel zu stärken. Der authentische und mutige SPD-Dissident Guido Reil würde mir nicht ausreichen, um die AfD zu wählen, auch wenn das in NRW wohl wieder mehr Wähler tun werden als im Saarland und in Schleswig-Holstein.

– Bei den Bundestagswahlen wird man sehen müssen. Es gibt hier für mich mindestens eine akzeptable Alternative, aber bis September könnten noch mehr dazukommen.

Viel Erfolg also für die FDP in Schleswig-Holstein und NRW! 

Nachtrag 7.5.2017:
Fast 11% in Schleswig-Holstein sind ein sehr gutes Ergebnis für die FDP. Ich hätte mir auch noch mehr vorstellen können. Die FDP ist nach der AfD und vor der CDU der zweite Gewinner in absoluten Zahlen. Herzlichen Glückwunsch an die FDP und Wolfgang Kubicki!

Nachtrag 14.5.2017:
Über 12% in NRW und damit drittstärkste Partei: ein sauberes Ergebnis im Rahmen meiner Erwartungen, das sich Christian Lindner und die FDP durch den klügsten Wahlkampf verdient haben.  Glückwunsch und viel Erfolg!

Nachtrag 22.5.2017:
Der kompetente, unabhängige und immer lesenswerte Journalist Frank Lübberding holt in der FAZ die Steuerrhetorik der FDP auf den Boden der Tatsachen: Die Mittelschicht zahlt für die Reichen.

Nachtrag 26.5.2017:
Brillante Überlegungen von Christoph Schwennicke: Christian Lindners heißer Reifen
Ja, ein Traum-Szenario wäre es, wenn eine Koalition aus FDP und CSU nach der Wahl Merkel stürzen würde.

Nachtrag 10.8.2017:
Ein ZEIT-Artikel über FDP-Wähler: da ist etwas dran. Im Cicero gibt es einen Beitrag, der Lindners Krim-Initiative unterstützt und in die Tradition des Genscherismus stellt.

Nachtrag 18.08.2017:
Die FDP ist wohl ganz die alte, wenn es um Parteispenden geht.

Links in der Merkel-Falle

Wie sehen die Chancen der „linken“ Parteien in diesem deutschen Wahljahr aus?maus
Der erste Test im Saarland ist bereits voll in die Hose gegangen: alle drei Parteien haben verloren, die Grünen sogar ein sehr entscheidendes Prozent. Aber auch der hochgejubelte Schulz-Effekt hat sich bereits in Luft aufgelöst.
Die Enttäuschungen dürften weitergehen, denn die Misere hat tiefere Ursachen: den fundamentalen Mangel an Orientierung und eigenem Profil. Die Linken haben sich schlicht von Angela Merkel eintüten lassen. Und diese handlichen Päckchen versucht sie jetzt im Wahljahr in ihre Schubladen zu entsorgen, mit einiger Aussicht auf Erfolg.

Drei dicke Themen

Bei mindestens drei Themen sind die drei linken Parteien Merkel voll auf den Leim gegangen, unfähig eine eigenständige Position einzunehmen und zu halten:

  • Energiewende
  • Euro-Rettung
  • Willkommens-Kultur alias Willkommens-Trick

Die Grünen

Dass die Grünen nicht fundamental gegen die Energiewende opponiert haben, die Angela Merkel 2011 nach der Kernschmelze in Fukushima über Nacht eingefallen ist, ist verständlich. Schließlich war der Atomausstieg ihr Gründungsmythos. Ein bisschen mehr Kritik an der 180-Grad-Kehre der Kanzlerin wäre aber durchaus angemessen gewesen, weniger als ein Jahr nach einer lausig begründeten Laufzeitverlängerung, mit der sie den mühsam ausgehandelten und besseren  Atomkompromiss von Schröder und Fischer in ihrer alternativ- und einfallslosen Art einfach zur Seite geschoben hatte. Auch in den Folgejahren hätte es für eine grüne Partei jeden Grund gegeben, CDU, FDP und SPD bei der Umsetzung auf die Finger zu sehen, denn schließlich waren die Grünen immer in der Opposition. Stattdessen haben sie sich der Selbstzufriedenheit hingegeben und tatenlos zugeschaut, wie Merkel ihnen das Kernthema abgenommen und auch noch seine Umsetzung hat vermurksen lassen. Das Ende vom Lied könnte wieder eine Laufzeitverlängerung für die übriggebliebenen Kernreaktoren sein, denn wenn die Stromversorgung noch teurer und gleichzeitig auch noch unsicher wird, ist irgendwann alles wieder offen, und Merkel wird eine dahergemümmelte Begründung für eine neuerliche Volte nicht vermissen lassen. Möglicherweise hat sie sich aber auch schon vom Acker gemacht, wenn eine andere CDU die Revision ihrer Fehlentscheidungen betreibt. Wenn die Grünen glauben, dass bis dahin der Murks steigender EEG-Umlagen

EEG-Umlage

und wachsender Blackout-Gefahren ganz bei CDU und SPD hängen bleibt, täuschen sie sich: als Ideengeber stehen sie in der Mithaftung, denn vielen Konservativen und Kernenergieunterstützern gilt Merkel „nur“ als grüne Verräterin, als gut getarnter Claudia-Roth-Klon, den sie einfach zu lange nicht erkannt (LOL!) haben.

Es wird auf immer das Geheimnis der Grünen bleiben, warum sie als Oppositionspartei allen Vertragsbrüchen und Rosstäuschereien im Zusammenhang mit der Euro-Rettung zugestimmt haben, selbstverständlich immer mit viel Scheinkritik und Vorbehalten, an die sich kaum ein Mensch noch  erinnert. Ein bisschen mehr Kritik und mindestens Enthaltung wäre billig zu haben gewesen und eine glänzende Option für den Tag, an dem das vertagte Problem offensichtlich wird.

Das Meisterstück der Grünen war aber ohne jeden Zweifel die übergroße Freude über Merkels Willkommens-Kultur: „Unser Land wird sich ändern, und zwar drastisch. Und ich freue mich drauf!“ Man muss Frau Merkel zugutehalten, dass sie nie etwas Vergleichbares gesagt hat. Sie hat nur mal wieder etwas Alternativloses getan, von dem sie vorher nie gesprochen hatte, an das sie vorher wahrscheinlich noch niemals gedacht hatte. Verglichen mit KGE ist die Einäuige aber immer noch Königin, und KGE wurde trotzdem Spitzenkandidatin.

So bangen die Grünen (und nicht nur sie allein) inzwischen um ihre Existenz. Die Abgesänge haben bereits begonnen: Warum ich die grüne Anti-Freiheits-Partei nicht wählen kann, Inbegriff des Uncoolen. Es könnte eng werden, zunächst in NRW und dann im Bund.

Mein Fazit: Kein Problem. Die Grünen können weg.

Die SPD

Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Die alte Tante SPD taugt nur noch zur Satire:GenossenSPD läutet traditionelles linkes Halbjahr vor wichtigen Wahlen ein

Es ist ihr egal, dass in erster Linie verarmte Mieter in NRW die explodierte EEG-Umlage (siehe oben) für die staatlich garantierte Solarrendite von wohlhabenden Eigenheimbesitzern in Baden-Württemberg und Bayern bezahlen. Die SPD unterstützt den Sozialismus für Reiche, zu dem sich Grüne und CDU zusammengefunden haben. Im linken Spektrum sind es allein unabhängige und entschieden linke Ökonomen wie Heiner Flassbeck, die die Sinnhaftigkeit dieser Energiewende bezweifeln. Ich habe als Physiker und Anhänger der Energieeffizienz dazu schon lange eine eigene Meinung[1].

Die SPD und die Willkommenskultur: eine grob verpasste Chance

Das hätte eine Riesenchance sein können. Die Sachlage war klar: Merkel hat die SPD überraschend „links“ überholt (aus Gründen, über die wir letztlich immer noch spekulieren). Gabriel stand vor der Frage, ob er im Gegenzug nach „rechts“ ausweichen sollte. Er hätte sich mittig zwischen Seehofer und Merkel stellen können. Er hätte Verständnis für beide äußern können und sie in seiner Mitte zusammenführen können, zu Kontingenten oder Obergrenzen. Wie man diese irre Masseneinwanderung von 2015 von links kritisiert, ohne Fremdenfeindlichkeit zu schüren, kann man bei Emmanuel Todd nachlesen.
Gabriel (der nicht so unfähig ist wie oft behauptet) hat nach meiner Einschätzung gezuckt, aber er hat sich nicht getraut. Vermutlich war ihm klar, dass der Funktionärsklüngel der SPD nicht mitspielen und ihn stürzen würde. Der Mittelbau der ideologischen und unqualifizierten Funkionäre ist das große  Problem der SPD. Deshalb hat Gabriel die Riesenchance, Merkel eiskalt zu erledigen und die SPD wieder zu einer Partei für das Volk zu machen, fahren lassen.  Dabei hat die SPD Merkel und die CDU auch sträflich unterschätzt, denn längst sind die Grenzen wieder zu, die CDU setzt auf Abschiebungen (was bei dem Gesindel, das eben auch ins Land geströmt ist, völlig unvermeidlich ist). Und die Büchsenspanner der Kanzlerin haben längst angekündigt, dass sie die SPD und den Messias Schulz mit dem Migrationsthema vorführen werden:
Ein zentrales Wahlkampfthema wird die Rolle der SPD in der Flüchtlingsfrage sein; dazu ist inzwischen eine Menge gesammelt worden – und Schulz wird gefragt werden – vor allem zu seiner Rolle und seinen Aussagen früher. Er wird „hart arbeitende Berater“ brauchen.

Dabei kommen dann Plakate heraus, die es locker mit Posts von besorgten Bürgern aufnehmen können:
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Quelle
Das ist totale Verhöhnung. Das ist grob, das ist frech – und gut. Wer den Dachschaden hat, muss für den Spott nicht sorgen. Man stelle sich nur einen Moment vor, da würde nicht ‚CDU‘, sondern ‚AfD‘ auf dem Plakat stehen! Es würde keinen Tag so unversehrt dastehen. Auch irgendein kleiner Twitterer oder Facebooker müsste befürchten, dass ein solcher Post von der Maas-Zensur gelöscht werden würde: zweierlei Maas im Stasi-Kahane-Staat.

Mein Fazit: Es ist hart für jemanden, der aus einer Handwerkerfamilie stammt, in der früher jeder SPD gewählt hat. Nachdem ich schon seit vielen Jahren nicht mehr SPD wähle, ist aus dieser Gleichgültigkeit jetzt offene und bittere Feindschaft geworden. Die hemmungslose Diffamierung der Gegner der Grenzöffnung von 2015 durch die SPD und die pauschale Zensur von Regierungskritik durch Maas und seine Stasi-Kohorten werde ich der SPD nicht verzeihen. Im Übrigen tippe ich darauf, dass Schulz froh sein kann, wenn er im September die 25% von Steinbrück erreicht. Es kann auch weniger werden. Hoffentlich.

Die echte Linke

Die Linke ist ein wild zusammengewürfelter Haufen. Bei Landtags- und Kommunalwahlen bei uns in Bayern finde ich regelmäßig kaum jemanden auf der Liste, den ich wählen könnte, aber jede Menge Chaoten, Ideologen, Sektierer und Spinner. Nicht wirklich meine Wellenlänge.
Aber im Bund habe ich mich immer über eine gute Rede von Gregor Gysi oder Sahra Wagenknecht gefreut. Tatsächlich haben die beiden regelmäßig das Beste abgeliefert, was der ansonsten durch und durch dröge Bundestag zu bieten hatte, zum Beispiel diese hervorragende Rede zu dem Murks, der Eurorettung genannt wird. Und so kommt es, dass inzwischen auch kluge konservative Freidenker ganz offen zugeben: Wagenknecht hat Anmut und sie kann Analyse. Und auch Oskar Lafontaine konnte immer Analyse (und Opposition).
Neben diesen Führungsleuten gibt es aber eine Menge Leute, die mindestens unglaublich naiv sind. Die Vorsitzende Kipping fragte sich beispielsweise vor einem guten Jahr öffentlich, ob sie Angela Merkel kritisieren darf. Was ist das für eine Oppositionspartei, die fragt, ob sie die Regierung kritisieren darf? Und so kommt es dann eben, dass die Fraktionsvorsitzende von ihrer eigenen Partei kritisiert wird, wenn sie die Mutter Theresa für schlichte Gemüter, die Bundeskanzlerin Angela Merkel, kritisiert. Die große Frage an die Linke lautet: wie stark ist der Einfluss der Wagenknecht-Linie in dieser Partei? Ist die Partei zu weniger oder mehr als 70% in den Händen von Dummies und Böswilligen?

Mein Fazit: Ich sehe mich heute nicht in der Lage, diese Frage zuverlässig zu beantworten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie sich im Laufe der Monate noch klärt und ich die Partei wieder wählen kann, aber eher unwahrscheinlich.

Die Kündigung

Mit dem zuletzt genannten kleinen Vorbehalt verabschiede ich mich hiermit von der deutschen Linken. Ihr klebte in der gesamten deutschen Geschichte immer wieder so viel Pech am Schuh – oder war es doch schon immer Unvermögen?

Natürlich kann man von einer volksnahen freisinnigen Partei träumen, in der auch eine Sahra Wagenknecht eine gute Rolle spielen könnte. Was aber macht man im Hier und Heute, in den kommenden Landtags- und Bundestagswahlen, um das kleinste Übel zu identifizieren, das man als macht- und staatskritischer Freisinniger wählen könnte? Dieser Frage werde ich auch in künftigen Blogbeiträgen nachgehen.

 

[1] Technisch und ökonomisch betrachtet ist heute eine eingesparte Kilowattstunde  immer noch erheblich einfacher und billiger zu haben als eine zusätzlich erzeugte Kilowattstunde, vor allem aber als eine erneuerbar erzeugte Kilowattstunde. Deshalb empfehle ich jedem, seinen privaten Verbrauch zu optimieren durch LEDs und andere vernünftig sparsame Geräte. In Zeiten der exorbitanten EEG-Umlage und eines Strompreises von fast 30 Cent/kWh macht das richtig Spaß, gerade auch im Geldbeutel. Der Jahresverbrauch meiner je nach Konstellation 4-6-köpfigen Familie liegt bei unter 2200 kWh, also bei weniger als der Hälfte des deutschen Durchschnitts. Wir zahlen dafür nur gut 50 Euro im Monat. Würden Millionen Privatverbraucher dieser Strategie folgen, würden wir gemeinsam reicher werden, die Umwelt schonen und das unökonomische EEG-System in kürzester Zeit zu einem ökonomischen Kollaps führen.
Sachlich betrachtet hätte die EEG-Umlage mit der Verbreitung erneuerbarer Stromerzeugung radikal heruntergefahren werden müssen. Sie war nur als Starthilfe konzipiert, ist aber durch mächtige Lobbygruppen und korrupte Politiker zu einem Selbstbedienungsladen umgebaut worden. Das kann ökonomisch, sozial und auch ökologisch nicht nachhaltig sein. Das System wird in jedem Fall zusammenbrechen. Wir haben es gemeinsam in der Hand, den Todeskampf zu verkürzen.

Nachtrag 1.5.2017:
FAZ: Union geht mit dem Thema Sicherheit auf Wählerfang
und kennt bei den Plakaten kein Halten mehr.
„Asylchaos stoppen. Zuwanderung einschränken“ lautete ein Slogan der AfD im Berliner Wahlkampf. Das war für manche empörend, aber wenn jetzt die CDU damit Wahlkampf gegen #NRWIR macht, ist das ganz unbedenklich — meint die SPD, die dümmste Partei Deutschlands.

Nachtrag 5.5.2017:
Die Spannung ist großGespannteDrahtfalle

 

 

 

 

 

Nachtrag 7.5.2017:
Ich habe heute Abend einen metallischen Schlag gehört:
gefangenWer genau hinschaut, erkennt auf dem Bild die gefletschten Zähne des armen Ralf Stegner. Elend, wie er da in der Falle hängt mit gebrochenem Rückgrat!
Er ist ein Unsympath durch und durch und der allerbeste Wahlkämpfer für Rechts.
Oder ist das auf dem Bild schon der Hoffnungsträger Schulz? Am nächsten Sonntag in NRW wird es genau so weitergehen.
Die SPD hat fertig.

Die Grünen hatten das Glück eines populären Spitzenkandidaten und haben trotzdem leicht verloren. Die Linke hat auf sehr niedrigem Niveau ein wenig gewonnen, zu wenig.
Aus den Zugewinnen von AfD, FDP und CDU errechne ich einen Rechtsruck von fast 11 Prozentpunkten: Links steckt in der Merkel-Falle.

Nachtrag 8.5.2017:
Wer den Schaden hat, muss für den Spott nicht sorgen: Immer dieser Postillon. LOL!

Nachtrag 10.5.2017:
Ferdinand Knauß: Hannelore Kraft ignoriert die Realität. Die Presse ist aktuell überwiegend mies für die SPD. Am Sonntag könnte es in NRW ein echtes Ereignis geben.

Nachtrag 12.5.2017:
Die Nachdenkseiten nehmen jetzt das Thema Energiewende ebenfalls von links unter die Lupe: Das Ende des deutschen Solarzeitalters? Der Autor Reinhard Lange hat das Thema auch schon für Makroskop bearbeitet. Die grün-linke Allianz wird endlich auch von links in Frage gestellt. Gut so: Die Grünen sind ja schon lange treulos und nutzen die Linken brutal aus.
Und noch ein Menetekel für die SPD: Das Büro Schulz erklärt den ‚Nachdenkseiten‘ den Krieg. Das dürfte die SPD in NRW unter 30% drücken und „Die Linke“ sicher über 5%. Das war es dann auch für eine Ampel-Koalition in NRW. Die Niederlage der SPD am Sonntagabend dürfte markerschütternd ausfallen. Solche Zeitenwenden kündigen sich oft jahrelang an, dann gibt es nochmal einen Hüpfer (Schulz-Effekt), bevor der Crash doch kommt, den irgendwie keiner mehr wirklich erwartet hat. Im Gesicht von Hannelore Kraft lässt sich das kommende Desaster ablesen: ich lese da keinerlei Kraft, sondern Resignation. Laschet dagegen spürt (und zeigt an), dass er die Nase vorn haben wird.

Nachtrag 13.5.2017:
Auch die ZEIT ahnt etwas: Wutwahlkampf
Auch diese Meldung stammt ursprünglich aus der ZEIT: Oberbürgermeister reagiert ungehalten, als Reporter ihn auf Problemviertel ansprechen. Die offziellen Botschaften von Kraft und SPD haben also ganz wenig mit der Lage ‚im Kiez‘ zu tun. Die SPD weiß das ganz genau, und sie weiß auch, dass sie in alle Richtungen verliert: Linke, CDU, FDP, AfD. Nur die Grünen scheinen nicht zu profitieren.
Passend dazu: Ein geiler Ratgeber für Verhinderungswähler.

Nachtrag 14.5.2017:
Das Ergebnis in NRW passt sauber ins Bild: ca. 42% für alle drei Parteien zusammen. Mehr wird es auch bei den Bundestagswahlen nicht werden, eher weniger. Und das ist auch gut so. Der Rechtsruck aus den Zuwächsen von FDP, CDU und AfD summiert sich übrigens auf satte 18 Prozentpunkte!
Die Linken werden noch eine Weile brauchen, bis sie verstehen, dass sie einer langen mageren Zeit entgegengehen und vor allem: warum sie das verdient haben.
Cicero: Warum die Schulz-SPD ein Opfer ihrer eigenen Blindheit ist
Tichy: „Die SPD erhält die Quittung: Sie wird abgestraft, weil sie den Merkel-Kurs vom Sommer 2015 fortsetzt. Nur Merkel ist schon wo anders, wenigstens pro forma. Die SPD aber steht Schmiere, und wird als Schmierensteher festgenommen.“

Nachtrag 15.5.2017:
Friedensblick hatte dieses Ergebnis schon vor mehr als einem Jahr auf dem Radar:
Bei der Bundestagswahl 2017 werden SPD, Linke, Grüne abgestraft werden“
Spitzenanalyse: Pokemon Schulz.

Nachtrag 18.5.2017:
Fritz Goergen: Die SPD rüstet bei Innerer Sicherheit auf
Peinlich, wie die SPD jetzt sich selbst Lügen straft. Wie dumm darf man sein?

Nachtrag 25.05.2017:
Dieser Tweet war einfach gutSozialdemokratNazi

Nachtrag 31.05.2017:
Die gestrige Personalrochade bei der SPD und der „neue“ Generalsekretär Heil  zeigen die ganze Not der SPD. Das schlechte Ergebnis von 2013 (25%) wird von nun an die Hoffnung sein, die Erwartung stellt sich auf Heils Ergebnis von 2009 (23%) ein, aber auch ein Fall unter 20% ist absolut drin. Die Erinnerung an den Schulz-Hype vom Jahresanfang wird die Depression verstärken. Das wird richtig, richtig bitter für die SPD: kein Personal, kein Programm, keine Ideen und einen unmöglichen Kandidaten.

Nachtrag 9.6.2017:
Hätte die deutsche Linke einen Anarcho wie Corbyn im Angebot, würde ich sie wählen.
Apropos: Hat irgendjemand gehört, dass Corbyn seine Landsleute als „Nazis“ bezeichnet hat, weil sie sich (zu Recht) vor dem islamischen Terror fürchten?

Nachtrag 21.6.2017:
Exzellente Analyse von Merkels Taktik: Die erfolgreichste sozialdemokratische Kanzlerin der Geschichte. Passt exakt zu meinem Verständnis der Funktionsweise ihrer Fallen.

Nachtrag 24.6.2017:
Norbert Häring bringt das Problem von Schulz, Maas und der ganzen SPD ganz trocken auf den Punkt.

Nachtrag 10.7.2017:
Bei der Wahl Hamburgs als Veranstaltungsort des G20-Gipfels ist die SPD wieder Merkel in eine Falle gegangen:  Der rechtschaffene Prügelknabe.
Christoph Schwennicke gehärt zu denjenigen Journalisten, die Merkels Politik am kühlsten analysieren. Wann lernen SPD-Politiker dazu?

Nachtrag 24.7.2017:
Schulz hat versucht, aus der Falle auszubrechen – vergeblich. Das Foto spricht Bände über die Erkenntnisprozesse, die bei ihm ablaufen: Ein Desaster vor Augen. Je mehr er jetzt in dieser Frage strampelt, umso stärker vertreibt er die Wähler nach rechts und links. Für seine Partei kann er nichts mehr retten, aber er kann interessante Debatten anstoßen und Wählerbewegungen in Gang setzen, völlig unfreiwillig natürlich. Die Wahl ist noch nicht gelaufen, ein Rolling Stone wie Schulz kann viel Bewegung verursachen.

Nachtrag 9.8.2017:
Nachdenkseiten über Schulz-Hype und Mediennebel: In sieben Wochen wird Bilanz gezogen. Dann ist Schluss mit Martin Schulz und der gesamten SPD-Führung.

Nachtrag 19.8.2017:
Wolfgang Kubicki: „Diese moralische Impertinenz [von Frau Göring-Eckardt] geht mir auf den Senkel“. Exakt das.

Macron über seine Nation

Emmanuel Macron gilt als aussichtsreichster Kandidat für die französische Präsidentschaft. Ob das stimmt, muss sich noch zeigen, denn sehr viele Wähler sollen noch unentschlossen sein und im Zusammenhang damit kann das Wahlverfahren mit zwei Durchgängen zu großen Überraschungen führen.
Trotzdem ist es Zeit, sich ein wenig mit den politischen Aussagen Emmanuel Macrons auseinanderzusetzen, denn klar ist, dass er mit Marine Le Pen, François Fillon und inzwischen auch Jean-Luc Mélenchon zu den vier aussichtsreichsten Kandidaten in einem recht engen Rennen zählt. Heiner Flassbeck hat bereits vor einigen Wochen geschrieben, dass sein Wirtschaftsprogramm von einem keynesianischen Standpunkt aus gar nicht so schlecht aussieht, deutlich besser jedenfalls als das von Fillon. Inzwischen hat sich das auch in einer Kritik an Deutschlands Exportüberschüssen niedergeschlagen, die hierzulande zur Kenntnis genommen und kommentiert wird. In Frankreich hatte es zuvor Fillon-freundliche Stimmen gegeben, dass Schäubles öffentliche Parteinahme für Macron nach hinten losgehen könnte. In Deutschland wiederum stimmt jetzt angesichts berechtigter Kritik mancher die larmoyante Klage über Vorurteile an.

In diesem Beitrag soll es nicht um Wirtschaftspolitik gehen und nicht um Macrons Verhältnis zu Deutschland, sondern allein um seine Aussagen über Frankreich und sein Selbstverständnis als Kulturnation. Diese dürften für deutsche Ohren einige Überraschungen im Ton und im Inhalt bergen. Dem Meinungsmagazin Causeur hat er ein Interview dazu gegeben:

„Frankreich war niemals und wird niemals eine multikulturelle Nation sein“

Causeur: Nach der Polemik, die von Ihren Erklärungen in Algerien ausgelöst wurde, haben Sie Wert darauf gelegt, auf die Frage der Identität zurückzukommen mit einem Podiumsgespräch im Figaro und einem Gespräch mit JDD. Es geht darum, Sie wissen es, dass es für die Franzosen wichtig ist, zu definieren und zu bewahren, was aus uns ein Volk macht. Trotzdem hat man den Eindruck, dass diese Themen Sie nicht begeistern und ansprechen. Sie sagen, dass „unsere Nation aus Verwurzelung und Öffnung gemacht ist“, aber jenseits von einigen symbolischen Gesten werden Sie mehr als der Kandidat des Neuen und der Öffnung wahrgenommen als derjenige der historischen Verwurzelung. Akzeptieren Sie diese Diagnose?

Emmanuel Macron: Ich akzeptiere sie nicht, aber sie überrascht mich kaum. Zunächst: Sind wir so sicher, dass die Identität nicht im Zentrum des Wahlkampfs steht? Ich selbst höre die Reden von Frau Le Pen über die Grenzen und die Worte von Herrn Fillon über den „antifranzösischen Rassismus“. Wenn Sie den Eindruck haben, dass dieses Reden nicht fruchtet, dann liegt das daran, dass es die Tiefen des französischen Volkes nicht erreicht. Der französische Geist lebt nicht in diesem verengten Kult einer idealisierten Identität. Er lebt auch nicht im Multikulturalismus, diesem Nebeneinanderstellen von geschlossenen Gemeinschaften. Der französische Geist ist etwas Imaginäres, das wir teilen. Dieses Imaginäre ist in unserer gemeinsamen Sprache verankert. Das ist unsere erste Verwurzelung. Es ist in einer Geschichte verankert, in Gebieten und Landschaften. Das ist unsere zweite Verwurzelung. Aber unsere Sprache, unsere Geschichte, unsere Gebiete und Landschaften sind nicht eindeutig. Sie sind weder ein grobes Gewebe, noch ein schlecht vernähter Flickenteppich. Die französische Kultur ist ein Moiré. Also ja, ich gebe es zu, der sterile Gegensatz zwischen Identität und Multikulturalismus, in dem man uns einschließen will und der überhaupt nicht zu uns passt, begeistert mich kaum. Die französische Kultur bewegt mich, wenn sie Kreuzungspunkt von Befindlichkeiten, Erfahrungen und Einflüssen ist. Das nenne ich Offenheit. Ich sehe jedoch den politischen Gebrauch, die bestimmte Leute von unserem gemeinsamen Erbe machen wollen, um es den (ethnischen und religiösen) Zugehörigkeiten entgegenzusetzen: Die Leidenschaft mancher Leute für eine eindeutige und geschichtsübergreifende französische Identität ist eine Geste des Widerstands gegen die Auflösungsbestrebungen des globalisierten Multikulturalismus. Nun gut, was mich angeht, will ich nicht mit mir handeln lassen: ich nehme die französische Kultur so, wie sie ist, mit ihren Komplexitäten und den Zuflüssen, und ich stelle sie entschlossen den verengten Zugehörigkeiten ebenso wie den vereinfachenden Nationalismen entgegen.

Causeur: Unser Land triumphiert, sagen Sie, mit den zeitgenössischen Schriftstellern mit Namen Marie NDiaye, Leila Slimani, Alain Mabanckou. Ihre Biliothek ähnelt einem Casting, wie die erste Regierung Sarkozy. Und wenn man von zeitgenössischen Schriftstellern spricht, erscheint es erstaunlich, Namen wie Houellebecq oder Carrère zu vergessen…

Emmanuel Macron:  Erlauben Sie mir zu schmunzeln angesichts von so viel normativer Selbstsicherheit… Ich lasse Ihnen die Freiheit eines eigenen Urteils, aber gestehen Sie mir zu, dass ich nicht unterschreibe. Ndiaye (deren Mutter Französin ist), Slimani (deren Mutter Franko-Algerierin ist), Mabanckou (der Franko-Kongolese ist) sind durch die französische Sprache zur französischen Kultur hinzugekommen, und sie besetzen dort einen herausragenden Platz. Das erscheint mir das Wesentliche zu sein. Man wird französisch durch die französische Sprache. Michel Houellebecq gehört übrigens zu den Schriftstellern, für die ich eine aufrichtige Bewunderung habe, weil seine Werke die zeitgenössischen Schwindelgefühle und Ängste entziffern…..

Causeur: Eben, Sie stimmen zu, dass die französische Sprache unser gemeinsamer Schatz ist. Sehr gut. Was werden Sie tun, um sie zu verteidigen? Was halten Sie von dem Slogan „Made for sharing“, der für die Kandidatur von Paris für die Olympischen Spiele gewählt wurde? Die ganze Welt hat höhnisch gelacht über die „Molière-Klausel“, aber wenn sie eine schlechte Antwort ist, verbirgt sich dahinter nicht eine gute Frage?

Emmanuel Macron: Die französische Sprache muss nicht „verteidigt“ werden: sie ist die am dritthäufigsten gesprochene Sprache der Welt. Aber sie muss mit Unnachgiebigkeit unterrichtet werden, denn der nationale Zusammenhalt beruht auf der Beherrschung der Sprache. Französisch lesen und schreiben zu können ist nicht nur ein Pass für den Arbeitsmarkt. Es ist der erste Richtungspfeil für die Integration in unsere Gesellschaft. Genau deshalb wünsche ich, dass Lesen und Schreiben der erste Kampf der Schule seien….Diesen Kampf dürfen wir nicht verlieren. Wenn wir nicht alle die französische Sprache teilen und das, was sie von unserer Kultur transportiert, wird unser Land in hermetisch abgeschlossene Gemeinschaften zerfallen. Die französische Sprache ist die Medizin gegen das Ghetto. Deshalb werde ich auch die Unterrichtung von Griechisch und Latein[1] wieder etablieren, die dafür die Grundlage sind…..Ich wünsche ebenfalls, dass die Einbürgerung die Beherrschung der Sprache voraussetzt; darüber werde ich wachen….

Causeur: Wir haben häufig den Eindruck, dass Sie versuchen, entgegengesetzte Bestrebungen unter einen Hut zu bringen, was vielleicht lobenswert ist, wenn man den Anspruch hat, das allgemeine Interesse zu vertreten und zu schützen. Nichtsdestotrotz sind bei dem, was den kulturellen Zusammenhalt unserer Gesellschaft ausmacht, nicht alle Optionen miteinander zu vereinbaren. In der Geschichte hat Frankreich das republikanische Modell (Assimilation, dann Integration), das den Neuankömmlingen und ihren Kindern abverlangt sich anzupassen, dem Multikulturalismus vorgezogen, was bedeutet, dass die Gleichheit der Individuen untereinander nicht die Gleichheit der  Kulturen nach sich zieht. Ist dieses Modell durch die Vielfalt unserer Gesellschaft obsolet geworden? Müssen wir mit dieser Tradition brechen, um muslimische Bevölkerungen aufzunehmen, die von „entfernteren“ Kulturen kommen?

Emmanuel Macron: Das französische republikanische Modell beruht auf der Integration. Das kann nicht in Frage gestellt werden….

Causeur: Aber wenn Sie ein Verteidiger der französischen Sprache und der Laizität sind, was unterscheidet Sie dann von ihnen (Anm. des Übersetzers: gemeint sind wohl die zuvor erwähnten Einwanderungs- und Islamkritiker Alain Finkielkraut und Eric Zemmour)

Emmanuel Macron: Der Unterschied zwischen ihnen und mir ist, dass ich keine Angst habe. Ich habe keine Angst um unsere Kultur, ich habe keine Angst um Frankreich. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Frankreich niemals eine multikulturelle Nation war und es niemals sein wird. Wenn es ein Risiko gibt, dass es so kommt, werde ich es bekämpfen, indem ich unserer Sprache ihre herausragende Bedeutung im Unterricht zurückgebe, indem ich alle ohne Nachgeben sanktioniere, die sich den Gesetzen der Republik und ihrer Praxis entziehen, indem ich unablässig an dem arbeite, was uns gemeinsam ist….

Den radikalen Islam zu bekämpfen ist keine Islamophobie: es ist das Minimum, das man von den politisch Verantwortlichen erwarten kann

… Angst zu haben, sich zu beunruhigen, zu fürchten hat noch niemals zu etwas geführt.

Causeur: Doch, dazu die Realität so zu sehen, wie sie ist, auch dann, wenn sie uns nicht gefällt. Eine gewisse Anzahl von Franzosen denken, dass unsere kollektive Identität durch den Aufstieg des radikalen Islam bedroht ist. Haben sie Unrecht? Ist das Islamophobie?

Emmanuel Macron: Den radikalen Islam zu bekämpfen, ist keine Islamophobie: es ist das Minimum, das man von politisch Verantwortlichen erwarten kann, die sich bemühen, die nationale Einheit und die öffentliche Ordnung zu erhalten. Aber wenn der von Millionen Landsleuten praktizierte Islam auch verdächtigt wird, nicht mit den Gesetzen der Republik kompatibel zu sein, wenn man Ihnen zeigt, dass es in der Natur des Islam liegt, gegen unsere Gesetze gerichtet zu sein, dann beginnt die Islamophobie. Den Islam in Frankreich zu organisieren und zu regulieren, besonders indem man ihn von seinen konsularischen Verbindungen (Anm. des Übersetzers: also zu ausländischen Regierungen) abschneidet, wird es erlauben, diesen Befürchtungen ein Ende zu machen, und wird es unseren islamischen Landsleuten erlauben, ihren Glauben vor Verdächtigungen geschützt zu leben. Das ist mein Projekt, und meine Entschlossenheit in dieser Sache hat keine Schwachstelle.

Causeur: Wird das ausreichen, um den Anstieg einer Form von Frömmigkeit und des Rigorismus einzudämmen, die danach strebt, sich vom Rest der Gesellschaft zu isolieren? Jenseits des Terrorismus gibt es einen friedlichen Separatismus. Werden Sie ihn bekämpfen und wie?

Emmanuel Macron: Die Rolle eines Präsidenten der Republik ist es nicht, Glaubensinhalte zu bekämpfen, sondern die Worte und Praktiken zu bekämpfen, die sich außerhalb der republikanischen öffentlichen Ordnung stellen. Wenn die religiösen Strömungen, die Sie beschreiben, darauf hinauslaufen, die republikanische Ordnung in Frage zu stellen, besonders bei der Rolle, die sie den Frauen zuweisen, werden sie hart sanktioniert werden. Manche werden es schon. Da wird man weitermachen müssen. Um diese Auswüchse zu entdecken, werden wir eine Polizei und Nachrichtendienste auf der am besten passenden Ebene auf die Beine stellen müssen. Ich werde sie auf die Beine stellen.

[1] Anmerkung des Übersetzers: die sozialistische Regierung Hollande hatte die Unterrichtung dritter Fremdsprachen massiv heruntergefahren. Davon war nicht nur Latein, sondern auch Deutsch stark betroffen.

Kommentare:

  • Macron gibt sich alle Mühe, ein republikanisches Selbstbild der französischen Nation zu vertreten, das von links bis rechts sehr viele Wähler ansprechen könnte
  • Das klassische französische Modell, Integration über die Sprache, Kultur und die republikanischen Bürgerrechte zu definieren statt über Herkunft und Hautfarbe, ist mir persönlich sympathisch und auch weit nach links konsensfähig.
  • Gleichzeitig betont er deutlich und ungewöhnlich hart auch die Kehrseite der Medaille: mehr Zug in den Schulen, keine Einbürgerung ohne Beherrschung der Sprache, Sanktionen gegen Abweichungen. Damit integriert er weit in die bunte und breite Szene der französischen Einwanderungs- und Islamkritiker und der katholischen Konservativen hinein.
  • An keiner einzigen Stelle versucht er, Personen und Autoren wie Michel Houellebecq, Alain Finkielkraut oder Eric Zemmour auszugrenzen (Merkel über Sarrazin: „nicht hilfreich!“) oder in eine Schmuddelecke zu verbannen, wie es in Deutschland oft üblich ist. Kein Ton davon. Er erlaubt sich lediglich, andere Schlüsse zu ziehen oder andere Akzente zu setzen. Mit dem Plätten von Meinungen durch moralischen Totschlag käme er in Frankreich nicht durch, gerade nicht als der Kandidat der Mitte, der er sein will.
  • Es ist nicht korrekt oder sogar Etikettenschwindel, wenn deutsche Medien wie die SZ Macron als Linksliberalen verkaufen. Mit den hier vorgetragenen Thesen zu Staatsbürgerschaft, Bildung, Sanktionen könnte er im deutschen Parteienspektrum mühelos auch im Wählerspektrum der CSU punkten. Sehr deutlich setzt er sich von Multikulti ab.
  • Macron ist ein Zentrist, der auf der rhetorischen Ebene äußerst geschickt operiert. Es ist also logisch, dass er auch von François Bayrou unterstützt wird, von ehemaligen Regierungsmitgliedern wie auch inoffiziell vom bisherigen Präsidenten Hollande und von Konservativen, die Fillon nicht unterstützen wollen.
  • Auch der auf diesem Blog bereits mit einem Kommentar vertretene Luc Rosenzweig hat sich in einem Kommentar im „Causeur“ für Macron ausgesprochen: „Die Alten mit Macron!“ (online hier). Als Grund gibt er u.a. die Befürwortung der Kernenergie an, also noch eine Präferenz, die so gar nicht mit dem deutschen Mainstream zu vereinbaren ist.
  • An einigen Stellen kann man eine gewisse Naivität oder gar Täuschungsabsicht vermuten, z.B. wenn er sagt, dass er den Islam in Frankreich von den „konsularischen Verbindungen“ abschneiden will. Das ist in Wahrheit sehr starker Tobak, und es würde nicht ohne schwere Konflikte abgehen.
  • Die große Frage bei Macron lautet deshalb für alle potenziellen Wähler: Meint er es ernst und kann er es auch? In seinem jungen Alter und mit der Musterschüler-Karriere, die er bisher hingelegt hat, ohne irgendwo groß anzuecken? Emmanuel Todd über Emmanuel Macron: „Er ist außergewöhnlich in der Selbstsicherheit, nichts zu sagen. Aber er hat ein sehr klares Programm: die Verschmelzung sämtlicher Gemeinplätze des Bankensystems.“
  • Wenn Macron Präsident wird, dürfte vieles auch davon abhängen, welche Handlungsfreiheit ihm das im Juni neu zu wählende Parlament geben wird.
  • Ein vom breiten Establishment gestützter Präsident Macron könnte sich sehr schnell auch als letzte Chance für dieses Establishment herausstellen. Noch eine Enttäuschung wie die durch François Hollande kann sich Frankreich wohl nicht leisten.

Nachtrag 19.4.2017:
Der altgediente und regierungserfahrene Linkssouveränist Jean-Pierre Chevènement ist sich unsicher, ob er Mélenchon oder Macron wählen soll.
Daniel Stelter beschäftigt sich mit dem Wahlkampf in Frankreich und einer möglichen Paarung Mélenchon – Le Pen, das Alptraum-Szenario für den Euro und Deutschland.
Ein Stechen der beiden ist tatsächlich nicht ausgeschlossen, aber derzeit eher unwahrscheinlich. Umfragen zeigen derzeit eher, dass Fillon wieder an Macron und Le Pen heranrückt, die beide ein wenig schwächeln und von zwischenzeitlich über 25 auf 22% gefallen sein sollen. Das Rennen bleibt spannend, gerade weil Umfragen nicht überbewertet werden sollten. Hamon ist aber wohl abgeschlagen und aus dem Spiel. Wenn er in dieser Lage verzichten und zur Wahl von Mélenchon aufrufen würde, wäre das eine dramatische Wende.

Nachtrag 20.4.2017:
Will Denayer in Makroskop (Paywall): Der Kandidat der extremen Mitte.
Manfred Haferburg beschreibt im dritten Teil einer erfrischenden Serie die Ungewissheit: Paris vor der Wahl

Nachtrag 23.4.2017:
Die erste Runde der Wahl ist gelaufen. Die Umfragen haben zuletzt ein sehr korrektes Bild des Ergebnisses gezeichnet: Macron und Le Pen vorne bei 22-24%, Fillon und Mélenchon in der zweiten Reihe bei knapp 20%, der schwache Hamon (der den starken Mélenchon aus dem Rennen genommen hat) und Dupont-Aignan (der Fillon aus dem Rennen genommen hat), abgeschlagen in der dritten Reihe bei 5-6%. Keine einzige Überraschung dabei.
Im nächsten Beitrag werde ich hier das Interview mit der Kandidatin Marine Le Pen aus derselben Serie „Parlez-nous de la France!“ wiedergeben.
Gute Einschätzung im Cicero: Neuanfang auf Trümmern

Nachtrag 24.4.2017:
Das vermutlich nachhaltigste Ergebnis dieser Wahl ist der Untergang Hamons (fr) und damit des offiziellen Kandidaten der Sozialistischen Partei. Damit ist das Erbe des fragwürdigen Gründers François Mitterand endgültig verjubelt bzw. unter die Erde gebracht.
Außerdem muss man feststellen, dass die beiden durch Vorwahlen bestimmten Kandidaten Hamon und Fillon auf ganzer Linie enttäuscht haben. Die beiden Finalisten dagegen haben sich keiner Vorwahl gestellt, ebenso wenig wie Mélenchon, der im Wahlkampf den stärksten Auftritt abgeliefert und den besten Zuwachs eingefahren hat.

Brauchbare Analysen/Karten bei der ZEIT: Die Jungen wählen extrem – oder gar nicht
Heiner Flassbeck hat eine guten und fairen Ausblick auf die Herausforderungen für Macron im Angebot: Das mittlere Maß der Unvernunft.
Hervorragende Grafiken zum Wahlausgang auf dem Blog les-crises.fr (versteht man auch mit wenig Französischkenntnissen).

Nachtrag 25.4.2017:
Den Untergang der französischen Sozialisten hat Evans-Pritchard bereits vor 3 Jahren analysiert.

Nachtrag 26.4.2017:
Nils Minkmar zur Wahl: Frischer Wind im Geisterhaus
Nicht schlecht, aber auch nicht sehr tiefschürfend. Minkmar hat bei der FAZ stärkere und vor allem auch scharfsinnigere Artikel geschrieben als beim ehemaligen Nachrichtenmagazin.

Nachtrag 1.5.2017:
Emmanuel Todd hat in einem Interview gesagt, dass Jean-Luc Mélenchon DAS Ereignis der 1. Runde der Präsidentschaftswahlen war, dass er ihn in der Vergangenheit zu hart beurteilt und jetzt für ihn gestimmt habe. Er habe die Dynamik in den unteren Klassen  zugunsten des FN gebrochen.
In der Stichwahl werde er sich „mit Freude“ der Stimme enthalten, weil eine Stimme für Le Pen eine fremdenfeindliche Stimme sei, eine Stimme für Macron für ihn aber eine Stimme für die Hinnahme der Unterwerfung.

Nachtrag 3.5.2017:
Es gibt in der WELT ein Interview mit Emmanuel Todd über Macron und die Wahl (leider hinter einer PayWall): Emmanuel Macron wird Frankreich verraten.
Die Nachdenkseiten kritisieren den extremen moralischen Druck zur Parteinahme für Macron: Unser linksliberales Establishment verblödet zusehends

Nachtrag 5.5.2017:
Bernd Zeller höhnt über die deutsche Wahlberichterstattung:ReifFürEinePräsidentin
Und eine Ausnahme dazu:
Sehr gutes Interview in der ZEIT zur Wahl mit Emmanuel Carrère.

Nachtrag 7.5.2017:
Macron ist gewählt. Die ca. 65%:35%  entsprechen ziemlich genau dem, was schon vor Monaten für diese Paarung gehandelt wurde. In der Zwischenzeit gab es (wie so oft) jede Menge Hype, um das Interesse an entsprechenden Berichten nach oben zu jazzen.
Jetzt geht es darum, nach vorne zu blicken: Macron muss liefern, und Deutschland kann es sich nicht leisten, zu allem Nein zu sagen.

Nachtrag 8.5.2017:
Die Nachdenkseiten sehen Frankreich vor turbulenten Zeiten. Es ist in jedem Fall richtig, dass die Parlamentswahlen über Macrons Handlungsspielraum entscheiden werden.

Nachtrag 11.5.2017:
Peter Wahl: Der halbe Sieg des Emmanuel Macron
Auch in der ZEIT ein guter Beitrag von Mark Schieritz über das Ende der deutschen Illusionen durch Macron.

Nachtrag 15.05.2017:
Winfried Wolf: Macron wird die Krise der EU vertiefen
Durchaus einige interessante Gedanken und Information mit viel linker Parteilinie