Macron über seine Nation

Emmanuel Macron gilt als aussichtsreichster Kandidat für die französische Präsidentschaft. Ob das stimmt, muss sich noch zeigen, denn sehr viele Wähler sollen noch unentschlossen sein und im Zusammenhang damit kann das Wahlverfahren mit zwei Durchgängen zu großen Überraschungen führen.
Trotzdem ist es Zeit, sich ein wenig mit den politischen Aussagen Emmanuel Macrons auseinanderzusetzen, denn klar ist, dass er mit Marine Le Pen, François Fillon und inzwischen auch Jean-Luc Mélenchon zu den vier aussichtsreichsten Kandidaten in einem recht engen Rennen zählt. Heiner Flassbeck hat bereits vor einigen Wochen geschrieben, dass sein Wirtschaftsprogramm von einem keynesianischen Standpunkt aus gar nicht so schlecht aussieht, deutlich besser jedenfalls als das von Fillon. Inzwischen hat sich das auch in einer Kritik an Deutschlands Exportüberschüssen niedergeschlagen, die hierzulande zur Kenntnis genommen und kommentiert wird. In Frankreich hatte es zuvor Fillon-freundliche Stimmen gegeben, dass Schäubles öffentliche Parteinahme für Macron nach hinten losgehen könnte. In Deutschland wiederum stimmt jetzt angesichts berechtigter Kritik mancher die larmoyante Klage über Vorurteile an.

In diesem Beitrag soll es nicht um Wirtschaftspolitik gehen und nicht um Macrons Verhältnis zu Deutschland, sondern allein um seine Aussagen über Frankreich und sein Selbstverständnis als Kulturnation. Diese dürften für deutsche Ohren einige Überraschungen im Ton und im Inhalt bergen. Dem Meinungsmagazin Causeur hat er ein Interview dazu gegeben:

„Frankreich war niemals und wird niemals eine multikulturelle Nation sein“

Causeur: Nach der Polemik, die von Ihren Erklärungen in Algerien ausgelöst wurde, haben Sie Wert darauf gelegt, auf die Frage der Identität zurückzukommen mit einem Podiumsgespräch im Figaro und einem Gespräch mit JDD. Es geht darum, Sie wissen es, dass es für die Franzosen wichtig ist, zu definieren und zu bewahren, was aus uns ein Volk macht. Trotzdem hat man den Eindruck, dass diese Themen Sie nicht begeistern und ansprechen. Sie sagen, dass „unsere Nation aus Verwurzelung und Öffnung gemacht ist“, aber jenseits von einigen symbolischen Gesten werden Sie mehr als der Kandidat des Neuen und der Öffnung wahrgenommen als derjenige der historischen Verwurzelung. Akzeptieren Sie diese Diagnose?

Emmanuel Macron: Ich akzeptiere sie nicht, aber sie überrascht mich kaum. Zunächst: Sind wir so sicher, dass die Identität nicht im Zentrum des Wahlkampfs steht? Ich selbst höre die Reden von Frau Le Pen über die Grenzen und die Worte von Herrn Fillon über den „antifranzösischen Rassismus“. Wenn Sie den Eindruck haben, dass dieses Reden nicht fruchtet, dann liegt das daran, dass es die Tiefen des französischen Volkes nicht erreicht. Der französische Geist lebt nicht in diesem verengten Kult einer idealisierten Identität. Er lebt auch nicht im Multikulturalismus, diesem Nebeneinanderstellen von geschlossenen Gemeinschaften. Der französische Geist ist etwas Imaginäres, das wir teilen. Dieses Imaginäre ist in unserer gemeinsamen Sprache verankert. Das ist unsere erste Verwurzelung. Es ist in einer Geschichte verankert, in Gebieten und Landschaften. Das ist unsere zweite Verwurzelung. Aber unsere Sprache, unsere Geschichte, unsere Gebiete und Landschaften sind nicht eindeutig. Sie sind weder ein grobes Gewebe, noch ein schlecht vernähter Flickenteppich. Die französische Kultur ist ein Moiré. Also ja, ich gebe es zu, der sterile Gegensatz zwischen Identität und Multikulturalismus, in dem man uns einschließen will und der überhaupt nicht zu uns passt, begeistert mich kaum. Die französische Kultur bewegt mich, wenn sie Kreuzungspunkt von Befindlichkeiten, Erfahrungen und Einflüssen ist. Das nenne ich Offenheit. Ich sehe jedoch den politischen Gebrauch, die bestimmte Leute von unserem gemeinsamen Erbe machen wollen, um es den (ethnischen und religiösen) Zugehörigkeiten entgegenzusetzen: Die Leidenschaft mancher Leute für eine eindeutige und geschichtsübergreifende französische Identität ist eine Geste des Widerstands gegen die Auflösungsbestrebungen des globalisierten Multikulturalismus. Nun gut, was mich angeht, will ich nicht mit mir handeln lassen: ich nehme die französische Kultur so, wie sie ist, mit ihren Komplexitäten und den Zuflüssen, und ich stelle sie entschlossen den verengten Zugehörigkeiten ebenso wie den vereinfachenden Nationalismen entgegen.

Causeur: Unser Land triumphiert, sagen Sie, mit den zeitgenössischen Schriftstellern mit Namen Marie NDiaye, Leila Slimani, Alain Mabanckou. Ihre Biliothek ähnelt einem Casting, wie die erste Regierung Sarkozy. Und wenn man von zeitgenössischen Schriftstellern spricht, erscheint es erstaunlich, Namen wie Houellebecq oder Carrère zu vergessen…

Emmanuel Macron:  Erlauben Sie mir zu schmunzeln angesichts von so viel normativer Selbstsicherheit… Ich lasse Ihnen die Freiheit eines eigenen Urteils, aber gestehen Sie mir zu, dass ich nicht unterschreibe. Ndiaye (deren Mutter Französin ist), Slimani (deren Mutter Franko-Algerierin ist), Mabanckou (der Franko-Kongolese ist) sind durch die französische Sprache zur französischen Kultur hinzugekommen, und sie besetzen dort einen herausragenden Platz. Das erscheint mir das Wesentliche zu sein. Man wird französisch durch die französische Sprache. Michel Houellebecq gehört übrigens zu den Schriftstellern, für die ich eine aufrichtige Bewunderung habe, weil seine Werke die zeitgenössischen Schwindelgefühle und Ängste entziffern…..

Causeur: Eben, Sie stimmen zu, dass die französische Sprache unser gemeinsamer Schatz ist. Sehr gut. Was werden Sie tun, um sie zu verteidigen? Was halten Sie von dem Slogan „Made for sharing“, der für die Kandidatur von Paris für die Olympischen Spiele gewählt wurde? Die ganze Welt hat höhnisch gelacht über die „Molière-Klausel“, aber wenn sie eine schlechte Antwort ist, verbirgt sich dahinter nicht eine gute Frage?

Emmanuel Macron: Die französische Sprache muss nicht „verteidigt“ werden: sie ist die am dritthäufigsten gesprochene Sprache der Welt. Aber sie muss mit Unnachgiebigkeit unterrichtet werden, denn der nationale Zusammenhalt beruht auf der Beherrschung der Sprache. Französisch lesen und schreiben zu können ist nicht nur ein Pass für den Arbeitsmarkt. Es ist der erste Richtungspfeil für die Integration in unsere Gesellschaft. Genau deshalb wünsche ich, dass Lesen und Schreiben der erste Kampf der Schule seien….Diesen Kampf dürfen wir nicht verlieren. Wenn wir nicht alle die französische Sprache teilen und das, was sie von unserer Kultur transportiert, wird unser Land in hermetisch abgeschlossene Gemeinschaften zerfallen. Die französische Sprache ist die Medizin gegen das Ghetto. Deshalb werde ich auch die Unterrichtung von Griechisch und Latein[1] wieder etablieren, die dafür die Grundlage sind…..Ich wünsche ebenfalls, dass die Einbürgerung die Beherrschung der Sprache voraussetzt; darüber werde ich wachen….

Causeur: Wir haben häufig den Eindruck, dass Sie versuchen, entgegengesetzte Bestrebungen unter einen Hut zu bringen, was vielleicht lobenswert ist, wenn man den Anspruch hat, das allgemeine Interesse zu vertreten und zu schützen. Nichtsdestotrotz sind bei dem, was den kulturellen Zusammenhalt unserer Gesellschaft ausmacht, nicht alle Optionen miteinander zu vereinbaren. In der Geschichte hat Frankreich das republikanische Modell (Assimilation, dann Integration), das den Neuankömmlingen und ihren Kindern abverlangt sich anzupassen, dem Multikulturalismus vorgezogen, was bedeutet, dass die Gleichheit der Individuen untereinander nicht die Gleichheit der  Kulturen nach sich zieht. Ist dieses Modell durch die Vielfalt unserer Gesellschaft obsolet geworden? Müssen wir mit dieser Tradition brechen, um muslimische Bevölkerungen aufzunehmen, die von „entfernteren“ Kulturen kommen?

Emmanuel Macron: Das französische republikanische Modell beruht auf der Integration. Das kann nicht in Frage gestellt werden….

Causeur: Aber wenn Sie ein Verteidiger der französischen Sprache und der Laizität sind, was unterscheidet Sie dann von ihnen (Anm. des Übersetzers: gemeint sind wohl die zuvor erwähnten Einwanderungs- und Islamkritiker Alain Finkielkraut und Eric Zemmour)

Emmanuel Macron: Der Unterschied zwischen ihnen und mir ist, dass ich keine Angst habe. Ich habe keine Angst um unsere Kultur, ich habe keine Angst um Frankreich. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Frankreich niemals eine multikulturelle Nation war und es niemals sein wird. Wenn es ein Risiko gibt, dass es so kommt, werde ich es bekämpfen, indem ich unserer Sprache ihre herausragende Bedeutung im Unterricht zurückgebe, indem ich alle ohne Nachgeben sanktioniere, die sich den Gesetzen der Republik und ihrer Praxis entziehen, indem ich unablässig an dem arbeite, was uns gemeinsam ist….

Den radikalen Islam zu bekämpfen ist keine Islamophobie: es ist das Minimum, das man von den politisch Verantwortlichen erwarten kann

… Angst zu haben, sich zu beunruhigen, zu fürchten hat noch niemals zu etwas geführt.

Causeur: Doch, dazu die Realität so zu sehen, wie sie ist, auch dann, wenn sie uns nicht gefällt. Eine gewisse Anzahl von Franzosen denken, dass unsere kollektive Identität durch den Aufstieg des radikalen Islam bedroht ist. Haben sie Unrecht? Ist das Islamophobie?

Emmanuel Macron: Den radikalen Islam zu bekämpfen, ist keine Islamophobie: es ist das Minimum, das man von politisch Verantwortlichen erwarten kann, die sich bemühen, die nationale Einheit und die öffentliche Ordnung zu erhalten. Aber wenn der von Millionen Landsleuten praktizierte Islam auch verdächtigt wird, nicht mit den Gesetzen der Republik kompatibel zu sein, wenn man Ihnen zeigt, dass es in der Natur des Islam liegt, gegen unsere Gesetze gerichtet zu sein, dann beginnt die Islamophobie. Den Islam in Frankreich zu organisieren und zu regulieren, besonders indem man ihn von seinen konsularischen Verbindungen (Anm. des Übersetzers: also zu ausländischen Regierungen) abschneidet, wird es erlauben, diesen Befürchtungen ein Ende zu machen, und wird es unseren islamischen Landsleuten erlauben, ihren Glauben vor Verdächtigungen geschützt zu leben. Das ist mein Projekt, und meine Entschlossenheit in dieser Sache hat keine Schwachstelle.

Causeur: Wird das ausreichen, um den Anstieg einer Form von Frömmigkeit und des Rigorismus einzudämmen, die danach strebt, sich vom Rest der Gesellschaft zu isolieren? Jenseits des Terrorismus gibt es einen friedlichen Separatismus. Werden Sie ihn bekämpfen und wie?

Emmanuel Macron: Die Rolle eines Präsidenten der Republik ist es nicht, Glaubensinhalte zu bekämpfen, sondern die Worte und Praktiken zu bekämpfen, die sich außerhalb der republikanischen öffentlichen Ordnung stellen. Wenn die religiösen Strömungen, die Sie beschreiben, darauf hinauslaufen, die republikanische Ordnung in Frage zu stellen, besonders bei der Rolle, die sie den Frauen zuweisen, werden sie hart sanktioniert werden. Manche werden es schon. Da wird man weitermachen müssen. Um diese Auswüchse zu entdecken, werden wir eine Polizei und Nachrichtendienste auf der am besten passenden Ebene auf die Beine stellen müssen. Ich werde sie auf die Beine stellen.

[1] Anmerkung des Übersetzers: die sozialistische Regierung Hollande hatte die Unterrichtung dritter Fremdsprachen massiv heruntergefahren. Davon war nicht nur Latein, sondern auch Deutsch stark betroffen.

Kommentare:

  • Macron gibt sich alle Mühe, ein republikanisches Selbstbild der französischen Nation zu vertreten, das von links bis rechts sehr viele Wähler ansprechen könnte
  • Das klassische französische Modell, Integration über die Sprache, Kultur und die republikanischen Bürgerrechte zu definieren statt über Herkunft und Hautfarbe, ist mir persönlich sympathisch und auch weit nach links konsensfähig.
  • Gleichzeitig betont er deutlich und ungewöhnlich hart auch die Kehrseite der Medaille: mehr Zug in den Schulen, keine Einbürgerung ohne Beherrschung der Sprache, Sanktionen gegen Abweichungen. Damit integriert er weit in die bunte und breite Szene der französischen Einwanderungs- und Islamkritiker und der katholischen Konservativen hinein.
  • An keiner einzigen Stelle versucht er, Personen und Autoren wie Michel Houellebecq, Alain Finkielkraut oder Eric Zemmour auszugrenzen (Merkel über Sarrazin: „nicht hilfreich!“) oder in eine Schmuddelecke zu verbannen, wie es in Deutschland oft üblich ist. Kein Ton davon. Er erlaubt sich lediglich, andere Schlüsse zu ziehen oder andere Akzente zu setzen. Mit dem Plätten von Meinungen durch moralischen Totschlag käme er in Frankreich nicht durch, gerade nicht als der Kandidat der Mitte, der er sein will.
  • Es ist nicht korrekt oder sogar Etikettenschwindel, wenn deutsche Medien wie die SZ Macron als Linksliberalen verkaufen. Mit den hier vorgetragenen Thesen zu Staatsbürgerschaft, Bildung, Sanktionen könnte er im deutschen Parteienspektrum mühelos auch im Wählerspektrum der CSU punkten. Sehr deutlich setzt er sich von Multikulti ab.
  • Macron ist ein Zentrist, der auf der rhetorischen Ebene äußerst geschickt operiert. Es ist also logisch, dass er auch von François Bayrou unterstützt wird, von ehemaligen Regierungsmitgliedern wie auch inoffiziell vom bisherigen Präsidenten Hollande und von Konservativen, die Fillon nicht unterstützen wollen.
  • Auch der auf diesem Blog bereits mit einem Kommentar vertretene Luc Rosenzweig hat sich in einem Kommentar im „Causeur“ für Macron ausgesprochen: „Die Alten mit Macron!“ (online hier). Als Grund gibt er u.a. die Befürwortung der Kernenergie an, also noch eine Präferenz, die so gar nicht mit dem deutschen Mainstream zu vereinbaren ist.
  • An einigen Stellen kann man eine gewisse Naivität oder gar Täuschungsabsicht vermuten, z.B. wenn er sagt, dass er den Islam in Frankreich von den „konsularischen Verbindungen“ abschneiden will. Das ist in Wahrheit sehr starker Tobak, und es würde nicht ohne schwere Konflikte abgehen.
  • Die große Frage bei Macron lautet deshalb für alle potenziellen Wähler: Meint er es ernst und kann er es auch? In seinem jungen Alter und mit der Musterschüler-Karriere, die er bisher hingelegt hat, ohne irgendwo groß anzuecken? Emmanuel Todd über Emmanuel Macron: „Er ist außergewöhnlich in der Selbstsicherheit, nichts zu sagen. Aber er hat ein sehr klares Programm: die Verschmelzung sämtlicher Gemeinplätze des Bankensystems.“
  • Wenn Macron Präsident wird, dürfte vieles auch davon abhängen, welche Handlungsfreiheit ihm das im Juni neu zu wählende Parlament geben wird.
  • Ein vom breiten Establishment gestützter Präsident Macron könnte sich sehr schnell auch als letzte Chance für dieses Establishment herausstellen. Noch eine Enttäuschung wie die durch François Hollande kann sich Frankreich wohl nicht leisten.

Nachtrag 19.4.2017:
Der altgediente und regierungserfahrene Linkssouveränist Jean-Pierre Chevènement ist sich unsicher, ob er Mélenchon oder Macron wählen soll.
Daniel Stelter beschäftigt sich mit dem Wahlkampf in Frankreich und einer möglichen Paarung Mélenchon – Le Pen, das Alptraum-Szenario für den Euro und Deutschland.
Ein Stechen der beiden ist tatsächlich nicht ausgeschlossen, aber derzeit eher unwahrscheinlich. Umfragen zeigen derzeit eher, dass Fillon wieder an Macron und Le Pen heranrückt, die beide ein wenig schwächeln und von zwischenzeitlich über 25 auf 22% gefallen sein sollen. Das Rennen bleibt spannend, gerade weil Umfragen nicht überbewertet werden sollten. Hamon ist aber wohl abgeschlagen und aus dem Spiel. Wenn er in dieser Lage verzichten und zur Wahl von Mélenchon aufrufen würde, wäre das eine dramatische Wende.

Nachtrag 20.4.2017:
Will Denayer in Makroskop (Paywall): Der Kandidat der extremen Mitte.
Manfred Haferburg beschreibt im dritten Teil einer erfrischenden Serie die Ungewissheit: Paris vor der Wahl

Nachtrag 23.4.2017:
Die erste Runde der Wahl ist gelaufen. Die Umfragen haben zuletzt ein sehr korrektes Bild des Ergebnisses gezeichnet: Macron und Le Pen vorne bei 22-24%, Fillon und Mélenchon in der zweiten Reihe bei knapp 20%, der schwache Hamon (der den starken Mélenchon aus dem Rennen genommen hat) und Dupont-Aignan (der Fillon aus dem Rennen genommen hat), abgeschlagen in der dritten Reihe bei 5-6%. Keine einzige Überraschung dabei.
Im nächsten Beitrag werde ich hier das Interview mit der Kandidatin Marine Le Pen aus derselben Serie „Parlez-nous de la France!“ wiedergeben.
Gute Einschätzung im Cicero: Neuanfang auf Trümmern

Nachtrag 24.4.2017:
Das vermutlich nachhaltigste Ergebnis dieser Wahl ist der Untergang Hamons (fr) und damit des offiziellen Kandidaten der Sozialistischen Partei. Damit ist das Erbe des fragwürdigen Gründers François Mitterand endgültig verjubelt bzw. unter die Erde gebracht.
Außerdem muss man feststellen, dass die beiden durch Vorwahlen bestimmten Kandidaten Hamon und Fillon auf ganzer Linie enttäuscht haben. Die beiden Finalisten dagegen haben sich keiner Vorwahl gestellt, ebenso wenig wie Mélenchon, der im Wahlkampf den stärksten Auftritt abgeliefert und den besten Zuwachs eingefahren hat.

Brauchbare Analysen/Karten bei der ZEIT: Die Jungen wählen extrem – oder gar nicht
Heiner Flassbeck hat eine guten und fairen Ausblick auf die Herausforderungen für Macron im Angebot: Das mittlere Maß der Unvernunft.
Hervorragende Grafiken zum Wahlausgang auf dem Blog les-crises.fr (versteht man auch mit wenig Französischkenntnissen).

Nachtrag 25.4.2017:
Den Untergang der französischen Sozialisten hat Evans-Pritchard bereits vor 3 Jahren analysiert.

Nachtrag 26.4.2017:
Nils Minkmar zur Wahl: Frischer Wind im Geisterhaus
Nicht schlecht, aber auch nicht sehr tiefschürfend. Minkmar hat bei der FAZ stärkere und vor allem auch scharfsinnigere Artikel geschrieben als beim ehemaligen Nachrichtenmagazin.

Nachtrag 1.5.2017:
Emmanuel Todd hat in einem Interview gesagt, dass Jean-Luc Mélenchon DAS Ereignis der 1. Runde der Präsidentschaftswahlen war, dass er ihn in der Vergangenheit zu hart beurteilt und jetzt für ihn gestimmt habe. Er habe die Dynamik in den unteren Klassen  zugunsten des FN gebrochen.
In der Stichwahl werde er sich „mit Freude“ der Stimme enthalten, weil eine Stimme für Le Pen eine fremdenfeindliche Stimme sei, eine Stimme für Macron für ihn aber eine Stimme für die Hinnahme der Unterwerfung.

Nachtrag 3.5.2017:
Es gibt in der WELT ein Interview mit Emmanuel Todd über Macron und die Wahl (leider hinter einer PayWall): Emmanuel Macron wird Frankreich verraten.
Die Nachdenkseiten kritisieren den extremen moralischen Druck zur Parteinahme für Macron: Unser linksliberales Establishment verblödet zusehends

Nachtrag 5.5.2017:
Bernd Zeller höhnt über die deutsche Wahlberichterstattung:ReifFürEinePräsidentin
Und eine Ausnahme dazu:
Sehr gutes Interview in der ZEIT zur Wahl mit Emmanuel Carrère.

Nachtrag 7.5.2017:
Macron ist gewählt. Die ca. 65%:35%  entsprechen ziemlich genau dem, was schon vor Monaten für diese Paarung gehandelt wurde. In der Zwischenzeit gab es (wie so oft) jede Menge Hype, um das Interesse an entsprechenden Berichten nach oben zu jazzen.
Jetzt geht es darum, nach vorne zu blicken: Macron muss liefern, und Deutschland kann es sich nicht leisten, zu allem Nein zu sagen.

Nachtrag 8.5.2017:
Die Nachdenkseiten sehen Frankreich vor turbulenten Zeiten. Es ist in jedem Fall richtig, dass die Parlamentswahlen über Macrons Handlungsspielraum entscheiden werden.

Nachtrag 11.5.2017:
Peter Wahl: Der halbe Sieg des Emmanuel Macron
Auch in der ZEIT ein guter Beitrag von Mark Schieritz über das Ende der deutschen Illusionen durch Macron.

Nachtrag 15.05.2017:
Winfried Wolf: Macron wird die Krise der EU vertiefen
Durchaus einige interessante Gedanken und Information mit viel linker Parteilinie

Das Amerika von Trump

Ein Radio-Interview von Radio France mit Emmanuel Todd zum Selberhören auf Französisch:

Kernaussagen in meiner Übersetzung:

Zum Zustand des Imperiums

„Das amerikanische Imperium hat nur noch einen zuverlässigen Verbündeten, nämlich Japan, das auch kaum eine andere Wahl hat. Europa ist nicht mehr unter Kontrolle, weil es unter deutscher Kontrolle steht und die Deutschen unkontrollierbar sind. Jedes Mal, wenn die Amerikaner etwas verlangen, machen es die Deutschen nicht, zum Beispiel bei der europäischen Austeritätspolitik, die sie gegen die amerikanische Meinung machen. Laut den letzten Nachrichten drohen die Philippinen, in den chinesischen Orbit zu wechseln. Die Türkei ist nicht mehr unter Kontrolle. Saudi Arabien ist nicht mehr unter Kontrolle. Das amerikanische System existiert nicht mehr. Sie tun nur noch so als ob…Es ist richtig, dass die Russen sich auf dem militärtechnologischen Feld ganz gut wieder ins Spiel gebracht haben. Was aber die Aktion der Russen möglich macht auf der Krim und jetzt in Syrien, ist die Schwäche der USA als imperiales System.“

Zum US-Wahlkampf

Das Bildungsniveau als Argument

„Es ist sehr interessant, in welcher Art in der Debatte in den USA das Bildungsniveau das wesentliche Kriterium ist. Man sieht sehr gut, wie sich darin die neue Schichtung (der Gesellschaft) nach Bildung zeigt: abgeschlossene Hochschulausbildung, unvollendete Hochschulausbildung, Sekundärbildung. Mit diesen Augen sehen die Amerikaner (von den Rassen abgesehen) ihre Gesellschaft. Und man erkennt sehr klar, das die Quelle für die neue Ungleichheit überall in der westlichen Welt diese Schichtung nach Bildung ist.

„Aber es ist im Gegenzug nicht wahr, dass die Wählerschaft von Trump die ungebildetste ist. Es ist schwer zu untersuchen, denn die amerikanische Presse steckt in einem stalinistischen Wahnsinn, aber man findet noch Dinge, u.a. eine Umfrage von Mitte September, die zeigt, dass Trump in der mittleren Bildungsschicht am besten abschneidet, also ‚College, no degree‘. Dagegen ist die demokratische Wählerschaft gespalten in solche mit der höchsten und der niedrigsten Bildung. Das ist logisch, denn sie ist die Partei der Minderheiten, von Schwarzen und Hispanics. Die Darstellung der Wählerschaft von Trump bei uns, die diejenige in der Presse des amerikanischen Establishments widerspiegelt, ist also ziemlich ekelhaft.

Die Trump-Wähler sind mit Grund wütend, aber nicht irrational

„Die Wähler der Republikaner sind praktisch nur Weiße. Die Amerikaner, die zu Anfang einfach Engländer waren, haben kein Ideal von der Gleichheit der Menschen. Was die Blüte der Demokratie in Amerika ermöglicht hat, ist die Festlegung der Indianer und dann der Schwarzen als Menschen, die draußen sind, und ein starkes Gefühl der Solidarität innerhalb der weißen Gruppe.Man könnte analysieren (das ist paradox, grausam und schmerzhaft), dass die Integration der Schwarzen in die amerikanische Wählerschaft, die das in gewissem Sinne großartige Erbe der Bürgerrechte ist, trotz allem das Funktionieren der amerikanischen Demokratie erheblich beschädigt hat…“

„Wir haben die Sicht auf einen völlig unerträglichen Trump. Er ist es. Persönlich denke ich, dass Hillary Clinton weitgehend ebenso unerträglich ist.Wir haben auch diese Sicht von einer Wählerschaft Trumps, die nicht rational ist. Die Rationalität ist ganz einfach zu finden: Die Jahre 2000-2013 oder eher schon 1990-2013 waren Jahre einer Verschlechterung des Lebensstandards, die weit über den Anstieg der Ungleichheit hinausgeht. Die amerikanische Presse war im ganzen letzten Jahr voller seriöser Analysen über den Anstieg der Sterblichkeit in der weißen Bevölkerung zwischen 40 und 54 Jahren. Das ist es! Die Wut der Wähler Trumps ist also in gewissem Sinne eine rationale Wut.

Auf den Vorhalt der Journalistin, dass die Sterblichkeit bei Weißen gestiegen, bei Hispanics und Schwarzen aber gesunken sei, und bei Weißen Schusswaffentote, Drogentote, und Herztote zusammenkämen:

„Die Logik der US-Demokraten besteht immer darin, die Hispanics und die Schwarzen zusammenzurühren. Aber wenn man von Demografie spricht, darf man sie nicht zusammenrühren. Bei den Schwarzen verbessert es sich nur, aber bei den Hispanics ist es bereits in vielen Bereichen besser als beim Standard-Amerikaner. Die Hispanics haben eine niedrigere Kindersterblichkeit, sie haben die Stabilität der Familie.

Der Neoliberalismus und Hyperindividualismus in der sozialen Krise

„Ich habe viel geforscht zu kulturellen und Familiensystemen und der Fähigkeit dieser oder jener Population, den Neoliberalismus und in der Tat den Hyperindividualismus voranzutreiben, zu leben und zu ertragen. Das Modell, nach dem ich mich bisher gerichtet habe, war das einer anglo-amerikanischen Besonderheit, der Kernfamilie, sehr individualistisch, liberal und wenig anhänglich an die Gleichheit, die den neoliberalen Prozess und die Globalisierung ertragen konnte und die sie sogar initiierte. Und es gab die egalitären Franzosen, die darunter litten, und die Deutschen, stark integriert wie die Japaner, die sich widersetzten, und die Russen, die nicht im Boot waren.
Was ganz und gar außergewöhnlich ist mit diesem Jahr 2016, und man hat es schon beim Brexit in England gesehen, ist, dass wir uns bewusst werden, dass die anglo-amerikanischen Bevölkerungen selbst diesen Hyperindividualismus nicht mehr ertragen. Wenn man sagt, dass die Ursachen für die Todesfälle Selbstmorde, Vergiftungen, der Alkoholismus, mit allen Varianten von Leberkrebs, die man sich vorstellen muss, dann bedeutet das, dass die wirtschaftliche und soziale Instabilität des Systems unerträglich ist und zu Verhaltensweisen führt, die …, ich habe wahrscheinlich die Drogen vergessen (Journalistin: und die Schusswaffen). Die Todesfälle durch Schusswaffen haben nach den Studien, auf die ich mich verlasse, eher stark abgenommen seit ihrer Hochzeit.“

Ein Umbruch der US-Politik zeichnet sich ab

Journalist: Ich fasse zu einer einfachen These zusammen. Der Kampf Trump-Clinton ist ein Kampf zwischen den Leuten, die die Globalisierung in Frage stellen, und auf der anderen Seite verteidigen Hillary Clinton, das Establishment und diejenigen, die die Ärmsten sind, diese Globalisierung und die Fortsetzung des Liberalismus.

„Bei den Demokraten muss man genau hinsehen. In der Frage der Ablehnung des Freihandels war Sanders sehr nahe bei Trump. Deshalb weiß man bei einem Teil der  demokratischen Basis nicht so genau, wie sicher das für Hillary Clinton ist. Aber Hillary Clinton stellt durch ihre Person und ihre Geschichte etwas völlig Klares dar. Trump hat die Republikanische  Partei in Stücke gerissen, die vollständig neoliberal war. Man befindet sich in einem Übergang, in dem die Dinge nicht klar sind. Die Akteure selbst, Trump und Clinton, sind hinter der Debatte zurück, die sie sogar angestoßen haben. (Auf die Frage der Journalistin, ob Trump nicht neoliberal sei) In dem Moment, wo man den Freihandel in Frage stellt, verlässt man den Konsens von Washington. Das heißt nicht, dass man nicht liberal ist, sondern dass man liberal in einer protektionistischen Variante ist, was eine Komponente des Liberalismus im 19.Jahrhundert war.“

„Worum es hinter den Kulissen in diesem Wahlkampf geht und nicht nur dort, sondern das ist die Debatte für die kommenden 20 Jahre, ist Folgendes: auf der einen Seite ist ein Amerika, das spürt, dass es nicht läuft, das gesehen hat, wie der Lebensstandard für einen guten Teil der Bevölkerung in den Keller gegangen ist, und das nach einer Art von nationaler und demokratischer Rückbesinnung strebt. Das ist das, was man (Lachen) populistische Revolte nennt, das man Populismus nennt in der Sprache des globalisierten Establishments. Ich spreche lieber von Volksrevolte oder demokratischer Aufwallung. Und diese streben übrigens auch nach einer friedlicheren oder geringeren Rolle in den  internationalen Beziehungen.
Auf der anderen Seite ist das Amerika, das bisher dominierte und weiterhin dominieren könnte, wenn Hillary Clinton gewinnt. Das ist das Amerika des Neoliberalismus und der Globalisierung und des Imperialismus. Das ist das, was dahintersteckt. Und natürlich ist das Ergebnis der Wahlen sehr wichtig, aber in den USA hat der Präsident nicht alle Macht.
Es stellt sich die Frage eines ideologischen Umbruchs. Und die angelsächsische Welt hat gewohnheitsmäßig solche Generationenumbrüche gekannt. 1980 gab es Reagan, davor Thatcher in England, und den Auszug aus dem New Deal und dem Wohlfahrtstaat, eine neoliberale Welle, die sich über die Welt verbreitet hat. Und nun, 35 Jahre später, habe ich das Gefühl, dass die anglo-amerikanische Welt dabei ist, mit einer zweiten Revolution niederzukommen, einem zweiten Umsturz,
der mehr Regulierung fordert, die Rückkehr zum Staat, (Journalist: Isolationismus?) ach, nein (Souveränismus, Nationalismus?) nein, nicht doch. Es werden jedenfalls nicht die Franzosen sein, die dem Kind einen Namen geben.“

Frankreich ist immer zu spät dran

„Ich habe gerade etwas gesehen, was mich zum Lachen gebracht hat: ein Titelbild von ‚Le Point‘ mit Margaret Thatcher. Jetzt also Thatcher. Das ist absolut genial! Wir sind immer zu spät dran. Mitterand kam 1981 an die Macht, ein Jahr nach Reagan. Er machte eine Politik der Verstaatlichung im alten Stil, vollständig gegen den Strom der Zeit, der sich im dominierenden Teil der Welt ereignete, der anglo-amerikanischen Welt, dann 1983 fährt man Kurven, ohne etwas zu verstehen, zu einem französischen Neoliberalismus, d.h. mit viel Staat und viel Korruption. Und nun sind wir 35 Jahre weiter, die angelsächsische Welt macht sich daran, eine Wende hinzulegen, und wird es übrigens auch dann tun, wenn Hillary Clinton gewinnt, denn sie haben bereits begonnen, ihre Infrastruktur wieder aufzubauen. Es hat bereits unter Obama den Anfang einer nationalen Rezentrierung gegeben und  einen diplomatischen Rückzug. Und in dem Moment, wo die Amerikaner und Engländer dabei sind, aus dieser Phase herauszukommen, sagen die französische Rechte und ihr ideologischer Anführer ‚Le Point‘: wir brauchen nun eine Thatcher-Revolution. Das sind die Mitterands unserer Zeit!

Die russische Obsession

Auf die Frage der Journalisten nach den Plänen Trumps und der großen Bedeutung Russlands im US-Wahlkampf:

„Die Omnipräsenz Russlands: Russland ist eine Obsession des Pentagons und der Demokraten… Russland ist ein Riesenland mit einer zu kleinen Bevölkerung, kaum größer als die Japans…Es will lediglich nicht zulassen, dass man ihm auf die Füße tritt. Man kann nicht vernünftig behaupten, dass Russland eine Bedrohung für die Welt ist, wenn man sich seine Bevölkerung anschaut. Nein, sie haben einfach eine neogaullistische Strategie der nationalen Unabhängigkeit…Ich bin mir sicher, dass de Gaulle Putin verstehen und ihn als eine Art von Bruder ansehen würde…Was interessant ist, ist nicht Russland selbst, sondern der amerikanische Tagtraum von Russland.  Was uns die Demokraten, das Pentagon, Hillary Clinton sagen, wenn sie von Russland besessen sind. Man denkt nur militärisch, in Kategorien von Militärinterventionen. Sobald Russland da ist, kann man nicht mehr machen, was man will. Was übrigens im Mittleren Osten völlig offensichtlich ist.
Die Obsession mit Russland bringt ans Licht, dass Hillary Clinton und ihre kleinen Kameraden immer noch in einer imperialen Strategie sind, dass das innere Wohlergehen der Vereinigten Staaten nicht ihr Anliegen mit Priorität ist.
Wenn es darum geht die strategischen Ziele von Donald Trump (lacht) zu definieren, ist es ein wenig schwierig. Denn er ist eine ein wenig chaotische Persönlichkeit. (Journalistin: er ist also kein Kriegstreiber? Er sieht ja trotzdem eine starke Steigerung des Militärbudgets vor….)  Die Außenpolitik der USA wird nicht einfach vom Präsidenten entschieden. Eine Art von informellem Establishment, weitgehend parteiübergreifend, gibt die Richtung vor. Obama hat eine Rolle gehabt, überwiegend beschwichtigend übrigens. Der Großteil des strategischen Schwachsinns, der unter Obama gemacht wurde, wurde von Hillary Clinton gemacht, als sie Außenministerin war, denn sie ist eine Kriegstreiberin. Was würde man also von ihm (Trump) erwarten können? Offensichtlich eine Entspannung mit Russland, eine Zurückhaltung bei der Einmischung in Weiß-Gott-Was. So einfach Trumps Äußerungen über Musulmanen und Mexikanern auf moralischer Ebene zu kritisieren sind, scheinen mir seine Ansichten über die internationalen Beziehungen schwierig zu kritisieren. Will man amerikanischen militärischen Interventionismus überall? Ist es das, was man will?“

Warum Amerika trotzdem besser dran ist als Europa

Frage des Journalisten: Warum ist Amerika mit zwei widerwärtigen Kandidaten besser dran als Europa

„Bei uns gibt es Figuren, die respektabel erscheinen. Sie tragen eine schöne Krawatte. Sie halten ihre Sprache unter Kontrolle. Aber in Wahrheit sind sie nicht respektabel, denn sie schlagen nichts vor. Es gibt entweder keine Debatte in Frankreich oder die Debatte wird an den Rand gedrängt durch die Existenz des Front National, der außerhalb des Systems ist. In Amerika hat man Kandidaten, die nach französischen (und amerikanischen) Kriterien inakzeptabel sind, und übrigens auch verhasst. Sie lügen. Man kann nicht sagen, dass Trump korrupt ist, denn er hat sein Geld auf einem kapitalistischen Markt gemacht. Die Clintons sind die Korrupten, sie haben ihr Geld unter Nutzung des Staatsapparats gemacht. Das amerikanische Mediensystem ist ein wenig mitverantwortlich, weil sie die wirklichen Themen haben verschwinden lassen. Das hatte begonnen, und der Anfang war: Sanders und Trump sehr nahe beisammen bei der Kritik am Freihandel. Und das andere Element war seine große  Mauer an der Grenze zu Mexiko. …Mit dem Risiko zu schockieren würde ich sagen, dass es richtig ist, dieses Dogma der Globalisierung, die Bewegungsfreiheit der Migranten in Frage zu stellen….Es kann keine Demokratie geben ohne ein Minimum der territorialen Sicherheit, ohne ein Recht der Gesellschaften, ihre Grenzen zu kontrollieren. Das werden Fragen sein, die Amerika und Europa in den kommenden Jahren absolut gemeinsam haben werden. Man ging von diesen beiden seriösen Fragen aus: Internationale Migration und Freihandel. Und man endet mit Leuten, die sich Tomaten an den Kopf werfen und von sexuellem Raubbau sprechen. Das ist ein wenig traurig. Und trotzdem bewegt sich was!“

Nicht in der richtigen Reihenfolge, sondern aus der Einleitung des Interviews, aber passend zum Schluss:

Im französischen Wahlkampf bewegt sich nichts

„In Frankreich bewegt sich nichts. Die französische Gesellschaft verrottet unter der Wirkung der Blockade im Euro, der ein absoluter Fehlschlag ist. Wir haben Kandidaten (für die Präsidentschaftswahlen), die alle im Euro bleiben wollen. Also weiß man, dass nichts passieren wird….Die Kandidaten sind im Grunde alle gleich. Sie sind stur dabei, nicht die europäischen Spielregeln zu erschüttern, um die Franzosen zu retten. Also, viel Glück für das Jahr, das kommt! ….Man hat ein bisschen das Gefühl, dass es das politische System darauf anlegt, die Franzosen zu provozieren. Die politische Klasse ist in Wahrheit völlig verantwortungslos. Sie regieren nicht. ..Sie spielen mit dem Wahlvolk, weil sie glauben, dass es nicht fähig ist, den Front National zu wählen. Aber das ist ein gefährliches Spiel.Vielleicht werden wir eines Tages mit einer großen Überraschung aufwachen.“

„In den Vereinigten Staaten, in Japan, in Deutschland, in Russland bewegt sich was. Da wird Geschichte gemacht. Die Franzosen machen sich nicht klar, dass sie außerhalb der Geschichte stehen. Solange ein ordentlicher Typ von Plan A und B spricht und nicht sagt, dass der Euro erledigt ist, tut er nichts.“

„Wenn man das Desaster sieht, vor dem Europa steht, wäre eine demografische Stabilität (wie im angelsächsischen Raum) schon mal gar nicht schlecht.“

Kommentare:

Nachtrag 2.1.2017:
Hier findet man ein ausführliches Interview mit Emmanuel Todd nach der Wahl von Trump (auf Französisch).

Nachtrag 25.3.2017:
Jetzt auch in der ZEIT: Kollaps im Hinterland
Jetzt auch in der FAZ: Amerikas Arbeiterklasse kollabiert
Ergebnisse von Studien, die lange vor der Wahl veröffentlicht worden waren, die Emmanuel Todd zur Wahl als Hintergrund präsent hatte, tauchen in deutschen Leitmedien ein halbes Jahr nach der Wahl als Neuigkeit auf.

Nachtrag 27.3.2017:
Ein erstklassiger Vortrag über The Inevitable Backlash against Global Elites beschäftigt sich ebenfalls mit den USA

Nachtrag 4.8.2017:
In Makroskop ist ein sehr interessanter Artikel über die Wahl Trumps erschienen: Trump – ein Kollateralschaden des Krieges