Was bedeutet der Nuland-Rücktritt?

Dt. Medien haben spärlich bis gar nicht über Victoria Nulands Rücktritt berichtet. In der Schweiz sah es besser aus, in Österreich und Frankreich eher noch schlechter.
Dabei gäbe es interessante Fragen und Theorien zu Zeitpunkt und Grund ihres Rücktritts, die u.a. zur Kriegslage und zur deutschen Taurus-Affäre führen. Könnte das der Grund für das Schweigen sein?

Eine kleine Medienschau zum Rücktritt der Unterstaatssekretärin Victoria „Fuck the EU“ Nuland, deren Name von Anfang an eng mit dem Konflikt in der Ukraine verbunden ist.

Ausführlicher Rückblick auf Nulands Karriere von Glenn Greenwald mit deutscher Übersetzung:

Deutsche Medien berichten und kommentieren wenig

Etablierte deutsche Medien haben wenig über Nulands Rücktritt berichtet. Gar keine Meldung zum Rücktritt habe ich beim ÖRR gefunden. Der einzige Beitrag des ZDF mit Victoria Nuland in der letzten Woche beschäftigte sich mit dem Taurus-Leak und stellte einen Zusammenhang zum Abhören von Nulands Telefongespräch vor 10 Jahren her:

ZDF berichtet nicht über ihren Rücktritt, erinnert aber in Zusammenhang mit dem
Taurus-Leak an das abgehörte „Fuck the EU“-Telefonat von Victoria Nuland

Einer aktuellen Version der Verbindung vom Taurus-Leak zu Nuland werden wir am Ende nochmals begegnen.

Anders als die Öffentlich-Rechtlichen Medien hat die WELT ordentlich über den Rücktritt berichtet, aber die Frage des Rücktrittsgrundes ausgespart:

Als zweites nationales Medium hat die Berliner Zeitung über den Rücktritt von Victoria Nuland berichtet:

Das war es dann aber auch schon ziemlich: Fehlanzeige bei SPIEGEL, ZEIT, FAZ, taz, Süddeutscher Zeitung, Tagesspiegel und großen Regionalzeitungen.

Kleine Medien wie Telepolis bringen das Taurus-Leak auf eine ganz andere und aktuellere Weise mit Victoria Nuland in Verbindung als das ZDF.

Wir werden weiter unten sehen, woher kleinere oppositionelle Medien ihre Ideen zum Nuland-Rücktritt beziehen. Die These lautet hier, dass Nuland (über Verteidigungsminister Pistorius) die Strippen in Richtung einer Taurus-Lieferung gezogen hat und dabei gestoppt wurde. Und zwar nicht vom deutschen Kanzler Scholz allein:

Natürlich versucht die WELT, weiter mit Pistorius zu sticheln:

Schweizer Medien

Mehrere Schweizer Medien berichteten über den Nuland-Rücktritt, die meisten Zeitungen nutzten aber denselben Artikel von Martin Suter:

Auffällig ist, dass ausgerechnet die führende Neue Züricher Zeitung, in Deutschland machmal als „Westfernsehen“ verklärt, online gar keinen Artikel zum Thema bereitstellt.

Österreichische und französische Medien

Im österreichischen und französischen Mainstream gab es zum Nuland-Rücktritt eine Woche lang kaum etwas zu lesen: erstaunliche Funkstille bei den Großen. Nur kleine Medien berichteten.

Medias-Presse:
„Victoria Nuland, die Verantwortliche für das ukrainische Chaos tritt aus der Regierung Biden ab“

TKP:

Und nicht zu vergessen:
Der Boulevard, die Kronen-Zeitung, hat (ziemlich spät) noch eine Email-Einsendung zum Thema veröffentlicht.

Amerikanische Medien

Natürlich hat die New York Times über Nulands Rücktritt berichtet, einigermaßen sachlich:

Die Washington Post stellt sich etwas mehr hinter Nuland, indem sie die russische Reaktion hervorhebt (vgl. WELT) und bewertet:

Dieses Video von The Hill mit Glenn Greenwald ruft die diplomatische Karriere von Victoria Nuland in Erinnerung:

Greenwald erinnert insbesondere an die Rolle von Nuland an der Seite von Dick Cheney im Irakkrieg 2003, später als Hardlinerin an der Seite von Hillary Clinton gegen Obamas zurückhaltendere Russland-Politik. Dazu gehörte insbesondere ihre Rolle 2014 beim Sturz des ukrainischen Präsidenten Janukowitsch. Als Ursache für ihren Rücktritt sieht er das Scheitern ihrer Ukraine-Politik und enttäuschte Karrierehoffnung an. Nuland habe in der Außenpolitik aller US-Regierungen seit Bill Clinton mitgemischt, nur nicht unter Donald Trump.

Der frühere CIA-Analyst Larry Johnson hat sich ausführlich zum Rücktritt von Victoria Nuland geäußert, den er klar als Entlassung ansieht:

Er vermutet, dass Victoria Nuland gefeuert wurde, nicht etwa aus freien Stücken zurückgetreten sei. Sie sei auch auch nicht einfach entlassen worden, weil die Politik in der Ukraine, für die die Neokonservative wie keine andere stand, gescheitert sei, sondern mutmaßlich deshalb, weil sie zuletzt ihre eigene Politik am Präsidenten und dem Rat des Militärs vorbei betrieb. Johnson mutmaßt, dass Nuland hinter den deutschen Taurus-Aktivitäten gesteckt habe.

Ein anderer Ex-CIA-Mann, Ray McGovern, bezweifelt sogar, dass das Taurus-Gespräch von den Russen abgehört und geleakt worden sei. Er tippt auf die NSA, die solche Gespräche grundsätzlich anzuzapfen versuchen, wie wir seit längerem wüssten.

Nuland sei am Ende als gefährlich angesehen und deshalb so abgeschossen worden, vor allem seit ihrer Ankündigung von „bösen Überraschungen“ für Russland.

In ähnlicher Richtung argumentiert auch Gilbert Doctorow (mit deutscher Übersetzung):
„dass dieselben Fakten, die ich als Hinweis auf die Bemühungen der USA, den vorsichtigen Kanzler Scholz durch den totalen Russlandhasser Pistorius zu ersetzen, dargelegt habe, genauso gut auf die Bemühungen der USA hindeuten könnten, Pistorius und seine kriegsverrückten Generäle loszuwerden, damit Europa und die Welt nicht geradewegs auf eine nukleare Konfrontation mit Russland zusteuern“

Das ist natürlich nicht direkt überprüfbar, so dass diese Theorien letztlich Spekulation bleiben müssen. Es lässt sich aber immerhin beobachten, wie es mit Boris Pistorius und Taurus weitergeht.

Indische Ansichten

Victoria Nuland war auch in Indien nicht überall beliebt:

Der Tod kommt nach Victoria Nuland: egal ob Ukraine, Sudan oder jetzt Niger, Unruhen, Gewalt, Chaos, Tod und oftmals Regime Change folgen Victoria Nuland nach, wohin sie auch geht

Einen abgewogenen Beitrag hat dagegen jetzt der indische Ex-Diplomat M. K. Bhadrakumar geschrieben:

„Bewegt sich der Boden unter Bidens Russlandpolitik?“

Wie ein Blitz habe der Rücktritt von Victoria Nuland eingeschlagen.
Die ausschweifenden Lobpreisungen, die Außenminister Blinken über Nuland ausgeschüttet habe, blieben normalerweise Beerdigungen vorbehalten.
Der Autor erinnert daran, dass Nuland das Minsk-Abkommen unterstützt habe, was aber im Schutt des Ukrainekrieges begraben sei. Später habe sie die Sprengung der Nordstream-Pipeline gefeiert (die aber natürlich nicht von den USA organisiert und durchgeführt worden sein kann).

Und dann kommt er zum Punkt:

„Der Punkt ist, dass es ganz und gar vorstellbar ist, dass Nulands Abgang den Kollaps der gesamten Architektur der Ukraine-Strategie der USA widerspiegeln könnte, die sie entworfen hat“

Ausblick

Hat der Nuland-Rücktritt den Kampf um „Niederlage oder Eskalation“ im Ukrainekrieg entschieden oder ist er nur das Ende einer Ringrunde? Das dürfte sich relativ bald zeigen: an Pistorius, an Taurus und natürlich an der Ukraine.

Nachtrag 15.3.2024
Biden hat sich mal wieder bei MSNBC (ab Minute 5:25) versprochen und damit versehentlich eine tiefere Wahrheit rausgelassen:
„We shouldn’t have gone into Ukraine, I mean, the whole thing in Iraq wasn’t necessary, wasn’t necessary”
Damit beantwortet er Bhadrakumars Frage und stellt die Ukraine in eine Reihe mit dem gescheiterten Irak-Abenteuer der Neocons:

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