Annalena Baerbock ist offensichtlich keine normale Außenministerin. Was ist sie dann?
Manchmal wird es überraschend einfach, zum Beispiel hier:
Die Aufgabe von Außenminister:Innen ist es (normalerweise), bis zum letzten Moment vor dem Ausbruch des großen Krieges schöne Worte zu verwenden, um Hoffnung zu erhalten. Wenn es schiefgeht und sie vom bösen Chef überstimmt werden müssen („Tragödie“), gehen sie als Friedenskämpfer bis zur letzten Minute in die Geschichtsbücher ein. In Deutschland ist es umgekehrt:
Man spricht in solchen Fällen davon, dass jemand wieder mal „einen Baerbock geschossen“ hat. Das muss sogar der Mainstreamjournalismus einräumen:
Und Helmut Schleich brachte das ebenfalls im Frühjahr 2021 im Bayerischen Rundfunk schon sehr deutlich zum Ausdruck:
Fazit
Keine Überraschung für diejenigen also, die genau hinschauten: Annalena Baerbock ist eine sehr ehrliche Person, die nicht aus ihrer Haut kann. Man könnte auch sagen, dass sie einen Spezialauftrag ausführt, bei dem es am Ende nicht auf einen Schönheitspreis ankommt: Agentin 007? Bei einer Agentin sind die augenfällige Doofheit und ihre stille Schläue auch kein Widerspruch, denn die Kühnheit ist der Kern der Jobbeschreibung.
Nachtrag 30.1.2023 Das wäre jetzt keine Überraschung, unabhängig davon, dass es in der BILD steht: „Der Kanzler ist genervt von seiner Außenministerin. Grund: Ihre Querschüsse, die seiner Politik widersprechen. Aktuelles Beispiel: Baerbock sagte plötzlich, dass ‚wir einen Krieg gegen Russland führen‘.“
Nachtrag 9.2.2023 10 Tage nach BILD jetzt auch in der ZEIT:
Nachtrag 19.02.2023 Auf der Münchner Sicherheitskonferenz hat unsere Klügste von Putin eine Drehung seiner Politik um 360° verlangt, eine gute erfüllbare Forderung: Baerbock ist so etwas wie ein pinkfarbenes Strickhuhn auf dem modernen deutschen Eierkopf: Lady Gagack & Freunde
Emmanuel Todd sieht Deutschland als den Großen Preis des Krieges in der Ukraine und Europa in tiefer Verwirrung.
Im Interview mit der Weltwoche hat er die Ursachen des Krieges, den Einsatz und die Folgen analysiert: ein Weltkrieg.
Dieser Blogbeitrag vergleicht seine heutigen mit früheren Aussagen Emmanuel Todds und den eigenen Veröffentlichungen.
Wegen der irrwitzig-absurden Corona-Politik blieb 3 Jahre lang kaum noch Zeit für die Ideen und Veröffentlichungen von Emmanuel Todd. Ich habe auch immer wieder nach seinen Äußerungen gesucht, aber nichts gefunden. Die Hintergründe offenbart er selbst in seinem jüngsten Interview, ausgerechnet und exklusiv in einer deutschsprachigen Zeitung:
Dieses Interview hat es nun wirklich in sich: Todd schwimmt mal wieder komplett gegen den Strom der veröffentlichen Meinung, er korrigiert in einigen wichtigen Punkten seine früheren Einschätzungen und bestätigt einige von denen, die ich in der Zwischenzeit hier auf dem Blog veröffentlicht habe.
Bei der Weltwoche registrieren und selbst lesen
Zunächst einmal empfehle ich jedem Selberdenker, den Text des n.m.E. brillanten Historikers, Demografen und Sozialanthropologen selbst und ohne Interpreten bei der Weltwoche zu lesen und zu bedenken. Diese lesenswerte Schweizer Zeitung bietet die Möglichkeit, sich direkt unter dem Artikel zu registrieren und dann bis zu 5 kostenpflichtige Artikel kostenlos zu lesen. Dieses exklusiv auf Deutsch gegebene Interview ist es wert, einer der fünf Beiträge zu sein. Man findet das Interview darüberhinaus auch als PDF im Netz, wenn man das nicht will oder seine 5 kostenlosen Beiträge bereits verbraucht hat.
Inhalte und Abgleich
Ich stelle hier eine kleine Liste von Inhalten zusammen und gleiche sie mit früheren Blogbeiträgen von mir ab, die ich mit oder ohne Inhalte meines Lieblingssozialwissenschaftlers Emmanuel Todd geschrieben habe:
Interview exklusiv auf Deutsch
Todd berichtet, dass er sich in Frankreich und auf Französisch nicht zum Ukraine-Krieg geäußert hat: „Frankreich spielt in diesem Krieg keine Rolle. Sein Gewicht ist null. Macron redet, Macron reist – alle lachen über Macron. Er ist nicht der Schlimmste, denn er ist bei weitem nicht der Russenfeindlichste“ „Mir ist sehr wohl bewusst, dass ich völlig anders denke und fühle als meine Zeitgenossen. Darum habe ich mich nicht mehr geäußert“ „Ihnen gebe ich das erste Interview, denn Sie schreiben auf Deutsch. In diesem Krieg geht es um Deutschland„ Außerdem habe er in Japan einen Bestseller zum Ukraine-Krieg veröffentlicht, weshalb er gerade dort unterwegs war.
Mitgefühl mit den Deutschen
„Ich habe sehr viel Mitgefühl mit den Deutschen… Deutschland ist ein Land, das sich vom Krieg losgesagt hat. Ein Land praktisch ohne Armee. Das so wenig Kinder zeugt, dass seine hauptsächlichste Sorge darin besteht, Arbeitskräfte für die Erhaltung seiner Industrie ins Land zu holen… Deutschland hingegen hat seine Industrie aufrechterhalten. Es interessiert sich nur für die Wirtschaft. Seine Logik war: Russland liefert Gas, unsere beiden Länder sind komplementär. Und seit 1945 sorgt Amerika in einer Welt, für die wir keine Bedrohung mehr sein wollen, für unsere Sicherheit. Aus dieser durch und durch rationalen Überlegung heraus entstand das Projekt Nord Stream. Es ging darum, die von der Ukraine und Polen erhobenen Abgaben zu umgehen. Deutschlands Tragödie besteht darin, dass es noch immer daran glaubte, von den Vereinigten Staaten beschützt zu werden„
Ich habe bereits früher darauf hingewiesen, dass Todd keineswegs germanophob ist, nur kritisch bezüglich der Schattenseiten deutscher Tugenden.
Amerika als Gegner Deutschlands
Im Interview fährt er fort: „Zbigniew Brzezinski hatte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in «Die einzige Weltmacht» Eurasien als neues «großes Schachbrett» der Weltpolitik bezeichnet. Die russischen Nationalisten und Ideologen wie Alexander Dugin träumen tatsächlich von Eurasien. Auf diesem «Schachbrett» muss Amerika seine Vorherrschaft verteidigen – das ist die Doktrin Brzezinskis. Also die Annäherung von Russland und China verhindern. Die Finanzkrise von 2008 hat deutlich gemacht, dass Deutschland mit der Wiedervereinigung zur führenden Macht in Europa wurde und damit auch ein Rivale der USA. Bis 1989 war es politisch ein Zwerg. Nun ließ Berlin seine Bereitschaft erkennen, sich mit den Russen einzulassen. Der Kampf gegen diese Annäherung wurde zu einer Priorität der amerikanischen Strategie. Dass sie das Gasabkommen torpedieren wollten, hatten die USA stets deutlich gesagt. Der Ausbau der Nato in Osteuropa war nicht in erster Linie gegen Russland gerichtet, sondern gegen Deutschland. Deutschland, das seine Sicherheit Amerika anvertraut hatte, wurde zur Zielscheibe der Amerikaner. Ich empfinde sehr viel Mitgefühl für Deutschland. Es leidet an diesem Trauma des Verrats durch den beschützenden Freund – der 1945 auch ein Befreier war“
Die Möglichkeit, dass es genau so kommen könnte, hatte Todd bereits 2014 ziemlich genau und treffsicher skizziert: „Man muss also etwas ganz Anderes ins Auge fassen für die kommenden 20 Jahre als den Ost-West-Konflikt: der Machtzuwachs des deutschen Systems legt nahe, dass die USA und Deutschland auf einen Konflikt zulaufen. Das entspricht einer intrinsischen Logik, die auf den Kräfteverhältnissen und der Dominanz basiert. Es ist nach meiner Meinung unrealistisch, sich ein friedliches Einverständnis für die Zukunft vorzustellen„
Ursache des Krieges
„Der Westen hat Russland provoziert. Der amerikanische Politologe John Mearsheimer hat nüchtern festgehalten, dass die Zusammenarbeit der Briten und Amerikaner mit seiner Armee die Ukraine faktisch zum Nato-Mitglied machte. Sie wurde aufgerüstet, um Russland anzugreifen. Putins Angriff war eine defensive Invasion. Er hatte diese Reaktion angekündigt und mit Krieg gedroht… Mearsheimer argumentierte, dass die Ukraine für Russland von existenzieller Wichtigkeit sei. Den Sieg Putins hielt er für eine Gewissheit. Er dachte aber auch, dass die USA die Ukraine aufgeben würden. In diesem zweiten Punkt irrte er sich. Dieser Krieg ist auch für sie von existenzieller Wichtigkeit: Falls Russland gewinnt, bricht das imperiale System der Vereinigten Staaten zusammen. Ihre Verschuldung ist phänomenal. Zur Erhaltung ihres Wohlstands sind die USA auf den Tribut der anderen Länder angewiesen“
„Ich leide wegen der Ukraine, es ist schrecklich, was ihr angetan wird. Sie war nie wirklich das Problem. Am Anfang ging es darum, die europäische Wiedervereinigung unter deutscher Vorherrschaft zu vereiteln. Die geostrategischen Beziehungen belegen es. Die Wahrheit der Nato sieht so aus: Sie besteht aus der Achse Washington–London–Warschau–Kiew. Deutschland und Frankreich sind ihre Juniorpartner, mit ihrer vorherrschenden Stellung in Europa ist es vorbei. Die Polen und die Ukrainer beschimpfen und beleidigen permanent die Deutschen. Für sie ist das unerträglich. Die Macht, die sie zu beschützen vorgab, hat nichts unversucht gelassen, um die vorherrschende Stellung Deutschlands in Europa zu zerschlagen. Deutschland befindet sich in einer Lage, die es in kognitiver Hinsicht überfordert“
Weltwoche: Was sagt die Demografie über die Ukraine aus? Todd: Es hat seit 2001 keine Volkszählung gegeben. Die Bevölkerung nimmt rapide ab. Welche Regionen sind betroffen, wer ist ausgewandert, wer ist geblieben? Man weiß es nicht. Heute wird das Land als angehende Demokratie verklärt. Zu Beginn des Kriegs war es ein failed state und völlig korrupt. Die Ukraine wird fremdfinanziert, sie ist kein klassischer Staat mehr. Das wenige, was ich weiß: Das Land ist fähig, Krieg zu führen. Aber ich habe keine Ahnung, wie es funktioniert. Kaum war es befreit, weigerte es sich, die Kontrolle über die russischen Gebiete abzugeben. Das ist ein bekanntes Verhalten, diesen Fall hat es zwischen den Weltkriegen mehrfach gegeben. Der Anspruch der Ukraine, zwei relativ kleine Regionen gegen deren Willen und jenen des zehnmal mächtigeren Nachbarn Russland behalten zu wollen, ist nicht vernünftig. Er ist absurd. Russland verlangte Garantien für seine Sicherheit. Und es forderte für die russischen Bevölkerungen im Donbass und auf der Krim, die wirklich russisch sind, ein Leben, das ihre kulturelle Autonomie respektiert. Dieser Krieg hätte nicht ausbrechen dürfen. Wie alle Kriege.“
Wer hat Nordstream gesprengt?
„Natürlich die Amerikaner. Aber das ist völlig unwichtig. Es ist normal“
„Die Deutschen wollten nicht in den Krieg. Scholz, der mir ein sehr vernünftiger Mensch zu sein scheint, wurde kritisiert, weil er sich nicht engagieren wollte. Krieg ist grauenhaft, scheußlich, ekelhaft, schrecklich. Die Deutschen wissen nur zu genau, dass Nord Stream von den Amerikanern zerstört wurde. Durch eine gemeinsame militärische Aktion der Amerikaner, Briten und Polen. Gegen Deutschland. Aber sie können es nicht sagen. In Tat und Wahrheit sind die Deutschen von den Amerikanern angegriffen worden. Man wollte sie vom russischen Gas abkoppeln“
Todd hält es für faszinierend, dass Gesellschaften so verwirrt sein können, dass sie etwas Anderes glauben: „Wichtig ist die Frage: Wie kann eine Gesellschaft glauben, dass es die Russen gewesen sein könnten? Wir haben es hier mit einer Umkehrung der möglichen Realität zu tun. Das ist viel schlimmer. Das Studium einer solchen Gesellschaft ist faszinierend. Darüber schreibe ich jetzt ein Buch. Es wird mein letztes sein. Meine Tätigkeit als Autor begann mit dem Essay über den Zusammenbruch der Sowjetunion. Ich will sie mit einem Werk der Vernunft über den dritten Weltkrieg abschließen“
Der Westen, Europa und Deutschland sind verwirrt
„Der Westen hat die Russen völlig unterschätzt, sein intellektuelles Defizit ist erschreckend“
„Das Verhalten des Westens ist für mich ein einziges Rätsel… Die Zeitungen erzählen uns, wie die Russen auf Gefängnisse schießen, die sie besetzt haben. Dass sie Atomkraftwerke beschießen, die sie vor Ort kontrollieren. Dass sie Pipelines in die Luft jagen, die sie selber gebaut haben“
„Die Europäer schwadronieren von Frieden und der Verbreitung ihrer humanistischen Werte ohne Armee. Das geopolitische Denken ist ihnen abhandengekommen. Zwischen der offensiven Strategie der Amerikaner und der defensiven Strategie der Russen befinden sich die Europäer in einem atemberaubenden Zustand der geistigen Verwirrung. Das gilt ganz besonders für Deutschland“
„Einerseits ist das Zusammenspannen der chinesischen und deutschen Wirtschaft vernünftig. Und weil China langfristig ein Verbündeter der Russen bleiben wird, bedeutet es auch, dass Deutschland nicht vollständig im westlichen Lager aufgeht. Gleichzeitig wird diese provozierende Reise nach China durch die Anerkennung des Holodomor als Genozid kompensiert. Das ist grotesk. Im Kontext eines beginnenden dritten Weltkriegs will das deutsche Parlament darüber bestimmen, was ein Genozid ist und was nicht. Die Deutschen sind sich der Tragweite dieses Schritts nicht bewusst. Sie setzen damit den Holodomor – der, nebenbei gesagt, proportional weniger Tote forderte als die Große Hungersnot in Irland – auf eine Stufe mit der Shoah. Mit ein bisschen Boshaftigkeit könnte man die Abstimmung im Bundestag als antisemitisch bezeichnen. Dass sie Auschwitz relativiert. In diesem Krieg hat man den Eindruck, als wolle die Welt Deutschland in den Wahnsinn treiben“
„Allerdings wünschte ich mir, dass die Deutschen begreifen würden: Die Seite des Guten, auf der sie stehen möchten, ist diesmal nicht jene der Vereinigten Staaten. Das Gute bedeutet: diesen Krieg beenden. Aber als Historiker analysiere ich ihn ohne Sentimentalität“
„Die Deutschen tun so, als würden sie zum Westen gehören. Auch das ist Teil ihrer Neurose. Durch den Krieg ist die führende europäische Wirtschaftsmacht wieder zu einem verängstigten, bevormundeten Protektorat geworden. Aber ich kann die Deutschen sehr wohl verstehen. Auch mich hat dieser Krieg in eine tiefe Sinnkrise gestürzt… Ich dachte immer, wir, die Franzosen, seien Dummköpfe. Und ich tröstete mich mit England, wo drei meiner Enkel leben. Ich habe in Cambridge studiert, es ist meine geistige Heimat. Aber heute ist England ein verwirrtes Land im Untergang. Seine Presse und seine Regierung frönen einem Kriegsdelirium, wie es nicht einmal in Deutschland zu beobachten ist. Bei allem, was ich in den letzten Jahrzehnten geschrieben habe, auch zum Irakkrieg: Nie habe ich die Engländer auch nur mit einem einzigen Wort kritisiert. Jetzt bringen sie mich zur Verzweiflung“
Weltwoche: Der Realitätsverlust unterscheidet Europa von den Russen? Todd: „Auch von den Amerikanern, die sehr wohl wissen, was sie tun. Ihre Vorstellung von Macht ist klar und zynisch. Zur Durchsetzung ihrer Interessen haben sie immer wieder Kriege geführt – auch angezettelt. Sie können Putin sehr wohl verstehen. Auch die Russen sprechen von Machtverhältnissen, aber ihre Sprache ist defensiv„
„Was in Russland passiert, ist mir völlig klar. Ich verstehe Putins Denken und Handeln und kann es in drei Minuten erklären. Die Russen sind brutal und rational, sogar ihre Lügen sind quasi vernünftig“
„Mit Weltkriegen ist es immer dasselbe: Es kommt völlig anders, als man denkt. Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs waren alle überzeugt, dass er sehr schnell vorbei sein würde. 1940 galt die Maginot-Linie als unüberwindbar und Frankreichs Armee als stärkste der Welt. Diesmal herrschte die Vorstellung von den übermächtigen Russen. Völlig unerwarteterweise hat die ukrainische Armee dem Angriff standgehalten –dank der Unterstützung. Die Sanktionen wurden in der Überzeugung erlassen, dass sie Russland in die Knie zwingen würden. Aber seine Wirtschaft ist nicht zusammengebrochen. Kein Mensch kann das erklären. Das Bruttosozialprodukt von Russland – Belarus inbegriffen – beträgt 3,3 Prozent des gesamten Bruttosozialprodukts des Westens. Gegenüber dem Dollar hat der Rubel seit Ausbruch des Kriegs um 23 Prozent zugelegt, 36 Prozent gegenüber dem Euro. Inzwischen stellt sich nicht mehr die Frage, ob die russische Wirtschaft widerstehen kann. Sondern die europäische“
„Auf beiden Seiten kommen zusehends weniger hochentwickelte Waffen zum Einsatz, man kann nicht abschätzen, welche Seite zuerst aufgeben wird. Der Krieg macht das fundamentale Problem der Amerikaner bewusst: Es fehlt ihnen an Ingenieuren. In den USA werden 7 Prozent der Studenten zu Ingenieuren ausgebildet. In Russland sind es 25 Prozent“ Weltwoche: Bei einem vergleichbaren intellektuellen Niveau? Todd: „Es ist in Russland zweifellos höher. Die Amerikaner kompensieren ihr Defizit mit der Einwanderung. Die Hälfte der amerikanischen Wissenschaftler und Ingenieure kam außerhalb des Landes zur Welt. Es handelt sich vor allem um Inder und Chinesen. Man kann sich ausrechnen, was passiert, falls China die Auswanderung seiner Studenten verbietet. Die Waffenindustrie ist auf Ingenieure angewiesen. Auch eine moderne Armee besteht aus Ingenieuren. Ich habe Putins Texte gelesen. Er weiß um die Schwäche der Amerikaner und die Deindustrialisierung. Ihm ist bewusst, dass ihre Wirtschaft zum Teil auf fiktiven Werten beruht und sie ihren Wohlstand der Notenpresse verdanken. Deshalb hat er es gewagt, sie anzugreifen. Ich habe keine Ahnung, wie es sich mit dem gegenwärtigen Kräfteverhältnis verhält. Die Nato ist dabei, ihre Bestände zu verbrauchen. Russland genauso. Trotz seines lächerlich kleinen Bruttosozialprodukts ist es in der Lage, den Amerikanern zu widerstehen“
Weltwoche: Putin und die Russen sind intelligenter? Todd: „Ihre Strategie setzt auf die «longue durée» des amerikanischen Niedergangs. Amerika kompensiert ihn mit dem Druck auf seine alten Protektorate. Die Kontrolle über Europa – vor allem Deutschland – und Japan ist zu seiner Priorität geworden. Gegen seinen Krieg im Irak hatten Chirac, Schröder und Putin an einer gemeinsamen Pressekonferenz protestiert. Seither hat Amerika das erreicht, was man auf Deutsch die «Gleichschaltung» Europas nennt. Der Rest der Welt aber hält es mit Russland. Als es kommunistisch war, verbreitete es Angst und Schrecken. Es war atheistisch, imperialistisch. Heute steht Russland für eine konservative Weltsicht und verteidigt die Souveränität der Völker und Nationen, die alle ein Recht auf Existenz haben“
Weltwoche: Und jetzt ist es ein Weltkrieg. Todd: „Wenn Russland überlebt, den Donbass und die Krim behält, wenn seine Wirtschaft weiterhin funktioniert und es seine Handelsbeziehungen neu gestalten kann, mit China und Indien – dann hat Amerika den Krieg verloren. Und in der Folge wird es seine Alliierten verlieren. Deshalb werden Amerika und die Nato weitermachen. Und darum handelt es sich um einen Weltkrieg, der andauern wird. Seine hauptsächlichste Ursache ist die Krise des Westens“
„Der Westen hat seine Werte verloren und befindet sich in einer Spirale der Selbstzerstörung. Europa gerät wieder unter die amerikanische Herrschaft. Wegen seiner schwachen Demografie wird nicht China die Welt beherrschen, sondern Indien zur Supermacht aufsteigen. Russland ist im Begriff, sich als kulturell konservative, in technischer Hinsicht fortschrittliche Großmacht neu zu bestimmen. Doch obwohl es die traditionellen Werte der Familie verteidigt und die LGBT-Bewegung bekämpft, wird seine Geburtenrate nicht besser. Das bedeutet, dass es bereits in der gleichen metaphysischen Krise steckt wie der Westen“
Über die indische Stärke und Strategie habe ich im Juni 2022 einen Beitrag geschrieben, der damit voll kompatibel ist.
Eine Warnung zum Schluss
„In der Ukraine führen sie gegeneinander Krieg. Wenn er nicht gestoppt wird, werden ihn alle verlieren“
Nachtrag 15.1.2023 Am 12.1. hat auch der Figaro ein Interview mit Emmanuel Todd veröffentlicht. Mathias Bröckers hat Auszüge auf dem Umweg über das Englische auf Deutsch gebracht. Wer lieber die englische Zusammenfassung von Arnaud Bertrand liest, findet sie hier:
Emmanuel Todd, one of the greatest French intellectuals today, claims that the "Third World War has started."
Small 🧵 translating the most important points in this fascinating interview.https://t.co/eYdKoBJx7B
Küppersbusch hatte ich noch nie. Hier jetzt zum ersten Mal:
Symbolik: Mit Maske und Stahlhelm!
Interessant ist hier die zeitliche Koinzidenz: -2019 war das Jahr sehr scharfer US-Warnungen an Angela Merkel -2019 war das Jahr der Zitteranfälle von Angela Merkel -2019 lief die Vorbereitung der Corona-Politik in Deutschland auf Hochtouren mit einer Global-Health-Konferenz der CDU/CSU-Fraktion -2019 begann die Förderung des Zentrums Liberale Moderne mit Staatsgeld und damit die Bekämpfung derjenigen, die der neuen Linie im Weg standen (s. Küppersbusch-Video oben)
2019 war das Jahr, in dem die vorherige deutsche Politik zusammengebrochen ist und komplett neu ausgerichtet wurde, kaum bemerkt oder gar kaschiert von den meisten Medien.
Das Drehen der Grünen
Als Hintergrund zu Ralf Fücks und dem Zentrum Liberale Moderne gibt es diesen etwas älteren Artikel über das Wirken von Ralf Fücks als Chef der grünen Heinrich-Böll-Stiftung mit einem Zitat des Grünen Ludger Volmer von 2004:
Die Böll-Stiftung (ausgerechnet nach Heinrich Böll benannt) pflegte also schon damals engste Beziehungen zu den US-Neocons. (Fücks war schon 2003 als Unterstützer von Bushs Irakkrieg aufgefallen – von wegen völkerrechtswidriger Angriffskrieg). Der Autor Robert Zion glaubte noch 2015, dass die Böll-Stiftung sich damit von der Parteilinie entfernt habe. Das war eine fundamentale Fehleinschätzung, weil die Böll Stiftung die außenpolitische Parteilinie der Grünen (mit sehr viel Geld) entscheidend prägte, wie die Parteichefs schon 2021, noch im Wahlkampf, sehr klar signalisierten :
Dass in der Ostukraine etwas in der Luft lag, war also Mitte 2021 auch in Deutschland und im ganzen Westen klar. (Der eilige Abzug aus Afghanistan im Sommer 2021 hatte mit dieser Erwartung viel zu tun: er war natürlich kein „Versagen“ – diese Behauptung ein Täuschungsmanöver der Medien). Ich hatte schon in einem früheren Beitrag darauf hingewiesen, dass sich auch die Corona-Pandemie in vielen Aspekten (wirtschaftlich, meinungsfreiheitlich, innenpolitisch und mit Armee-Präsenz) gut als Vorbereitung auf eine Kriegssituation lesen lässt. Auch anderen Beobachtern war 2021 früh aufgefallen, dass sich 2021 (mit dem Amtsantritt von Joe Biden) im Osten etwas abzeichnete, das in Deutschland ein grünes Gewand trug.
Nachtrag 28.11.2002 Hier auch der Lübberding-Artikel (Printversion) über das „Zentrum Liberale Moderne“. Schöner Titel: „Die grüne Gesellschaft und ihre Feinde“
Der Staatssekretär Patrick Graichen im Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz antwortete offiziell für die Bundesregierung.
Zunächst wiederholt er zwei Punkte, die für (fast) alle längst offensichtlich sind:
„Die Bundesregierung geht von einer gezielten Sabotage der Pipelines Nord Stream 1 und 2 aus„
„erscheint insbesondere vor dem Hintergrund der hohen Komplexität der Tatausführung sowie einer entsprechenden Vorbereitung das Agieren staatlicher Akteure wahrscheinlich„
Dann ergänzt er zwei Details, die wir uns merken wollen:
„vermutlich einer Sprengladung von mehreren Hundert Kilogramm“
„Anhand des zeitlichen Abstands zwischen den ersten drei Leckagen …eine zeitgleiche technische Fehlfunktion nahezu ausgeschlossen ist“
Zuletzt aber kommt er zum inhaltsreichsten Punkt:
Nordstream-Sprengung ist „top secret“
Das Staatswohl verbietet es, in Zukunft noch irgendetwas Weiteres dazu zu sagen! Zur Geheimhaltung unter der „Third-Party-Rule“ führt er konkreter aus: „Eine mögliche Kenntnisnahme durch Unbefugte würde erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit der Nachrichtendienste des Bundes mit ausländischen Nachrichtendiensten haben„
Jeder Leser wird selbst in der Lage zu sein zu bewerten, ob sich die vertrauensvolle Zusammenarbeit und die Third-Party-Rule auf den russischen Geheimdienst beziehen könnten und ob die Bundesregierung es verschweigen müsste, wenn sie Beweise darüber erlangen würde, dass die Russen die Pipelines gesprengt haben.
Weitere Infos
Die Tagesschau berichtete passend dazu, dass es gemeinsame Ermittlungen von Deutschland, Dänemark und Schweden nicht geben wird:
Machen Sie den Selbsttest! In welchem wichtigen Medium, Zeitung oder Rundfunk, wurde über diese Anfrage der gewählten Abgeordneten Nastic und die Antwort der Bundesregierung berichtet? Wer etwas findet, ist natürlich herzlich eingeladen, es in einem Kommentar zu diesem Beitrag zu verlinken.
Fazit: 5%-Parteien sind wertvoll
Die Linke ist seit einiger Zeit schon eine chaotische, tief gespaltene Partei, und Sozialismus halte ich im Lichte einiger Lebenserfahrung für eine gefährliche Illusion. Niemals würde ich eine Linke wählen, die in Reichweite einer Mehrheit käme, von einer absoluten Mehrheit ganz zu schweigen.
Etwas anders sieht die Sache aus, wenn die Linke wie aktuell an der 5% ums Überleben kämpft: solche Anfragen würde ohne Randparteien wie die Linke vielleicht gar nie gestellt werden und die Regierung nicht zwingen, solche hochinformativen Antworten zu geben. Ohne die Linke wären wir vielleicht am Ende alle dümmer? Deshalb habe ich auch als Antikommunist kein Interesse daran, dass die Linke ganz aus dem Bundestag fällt: 5% sind sie immer wert, denn zu viel Konsens ist eine große Gefahr und in Deutschland besonders.
Dasselbe gilt genauso auch für die FDP, die nach ihren freiheitsfeindlichen Entscheidungen mit dem Irren Lauterbach ziemlich in den Seilen hängt, wie die Landtagswahl in Niedersachen gezeigt hat. Mit den 11,5% bei der Bundestagswahl war sie sicher überbewertet (und ich habe sie doch nicht gewählt), aber sollte sie deshalb unter 5% fallen? Ich denke Nein! Und dasselbe gilt ebenfalls für die AfD. Auch ihr verdanken wir wertvolle Debattenbeiträge im Bundestag, ohne die der Bundestag und das ganze Land blöder wären, als sie eh schon sind.
Deshalb meine These: Wir brauchen die Vielfalt im Bundestag. Der demokratische Wert fast jeder Partei steigt, wenn sie sich der 5%-Hürde nähert, egal ob von unten oder von oben. Wenn bei einer (derzeit noch nicht erkennbaren) Bundestagswahl sowohl FDP als auch Linke an die 5%-Hürde rutschen, wird es allerdings sehr schwierig für mich.
Nachtrag Die Grünen haben bessere Geheimdienstinformationen als die Bundesregierung, und sie zögern auch nicht, sie sofort öffentlich zu machen: der Robert war’s!
Warum löscht man sowas? Vielleicht deshalb, weil jemand mit einem Drunterkommentar noch ~10000 Likes einsammeln konnte?
Irresponsible=unverantwortlich ist nicht gleich ‚unwahr‘. Gerade die Wahrheit auszusprechen kann besonders verantwortungslos sein.
Sikorskis Frau
heißt Anne Applebaum und ist eine amerikanische Journalistin und Historikerin. Am 6. Februar 2022 war sie bei Anne Will eingeladen zum Thema „Worte oder Waffen – wo steht Deutschland im Ukraine-Konflikt?“ Sie spricht ganz anders als Radek Sikorski: sehr, sehr verantwortungsvoll. Sie war mir erstmals aufgefallen, von einem Freund als Gegenposition empfohlen worden, als sie Angela Merkel in ihrer Flüchtlingspolitik stützte. Ihren Mann, damals immerhin Parlamentspräsident, und die ganze polnische Politik hat sie aber offensichtlich nicht davon überzeugen können, Merkels Politik nachzuahmen. Schon 2009 hatte sie große Stücke auf Angela Merkel gehalten und das in der Washington Post veröffentlicht.
Schon die Fotoauswahl war nicht mehr so nett und was bringt diese ‚Neue Zeit‘?
Auch das Lob auf Merkels Flüchtlingspolitik war jetzt verklungen: „Ich bin mir nicht sicher, ob sie je verstanden hat, dass einige Nachbarn Deutschlands ihre Entscheidung als eine Art von Imperialismus wahrnahmen, einen Akt unilateraler Hochnäsigkeit: Merkel fällte eine gravierende Entscheidung, die auch die Nachbarn betraf, ohne sie zurate zu ziehen“
Und es ging sehr, sehr scharf weiter: „Sie versagte darin, Deutschland auf eine neue Ära vorzubereiten. Eine, in der die globale Zusammenarbeit und die transatlantische Freundschaft an ihr Ende gekommen sind“ Die neue Ära, die neue Zeit hat bereits einen sehr bedrohlichen Unterton angenommen.
„Obwohl sich in jüngster Zeit die Militärausgaben leicht erhöhten, hat man den Deutschen immer noch nicht klargemacht, dass sich ihr Verständnis von Macht ändern muss. Die Deutschen brauchen jetzt eine richtige Armee mit elaborierteren Waffen und professionelleren Soldaten, um ein revisionistisches Russland in die Schranken zu weisen und abzuschrecken“
Und dann der sehr interessante Satz: „Noch bekennt sich die Nato zu Deutschland“ Wer ist die NATO?
Dieser Text der Frau von Sikorski hat eine sehr interessante Gemeinsamkeit mit diesem Spiegel-Titel von Mai 2019, also nur 5 Monate später: Ein Apokalyptischer Tritt in den Hintern!
Er entwickelt sich nämlich aus dem alten Lob für ihre Flüchtlingspolitik heraus zu einer bitterbösen Abrechnung mit dem Versagen und dem Vermächtnis von Angela Merkel. Man muss sogar eindeutig von Drohungen sprechen. Im Spiegel-Titel waren diese Ideen allerdings Julianne Smith in den Mund gelegt, ebenfalls eine US-Demokratin, damals Beraterin von Joe Biden, der noch nicht einmal Präsidentschaftskandidat war, und heute seine Botschafterin bei der NATO. Dazu nochmals Applebaums Satz von 2019: „Noch bekennt sich die NATO zu Deutschland“ Nach der inzwischen zögerlich gelöschten Ansicht ihres Mannes Radek Sikorski hat dieselbe NATO am Montag die deutsche Gasversorgung bombardiert und dafür Dank verdient.
Das Löschen seines Tweets durch Sikorski wird jedenfalls die Zusammenhänge, die der Tweet bewusst gemacht hat, nicht wieder aus der Welt schaffen. Diese Welt ist nämlich klein, fast schon eine globales Dorf, dessen Politik sich an einem Küchentisch im Haus Sikorski-Applebaum zu entwickeln scheint.
Nachtrag 2.10.2022 „an einem Küchentisch im Haus Sikorski-Applebaum „ Das war natürlich ein Scherz. Anne Applebaum ist nur ein Hauptmann an der Medienfront. Ihr General John Kornblum hatte die Hintergründe bereits Ende 2015 nur wenig verklausuliert öffentlich geäußert: „So weit, so gut, aber Europas Hauptproblem wird dadurch nicht gelöst. Denn so gut sie auch ist – Merkel ist auch ein Teil dieses Problems. Denn die Nationen der Europäischen Union stehen an einem Scheideweg… Deutschlands Entscheidung, Russland im Falle der Ukraine moderat, aber bestimmt zu begegnen, verärgerte viele, aber es war der einzige Weg, einen minimalen Konsens in Europa aufrechtzuerhalten… Der größte Fehler allerdings war das Versagen Europas und Deutschlands, was die Aufrechterhaltung einer strategischen Allianz mit den USA anbelangt. Wie frustrierend auch das amerikanische Verhalten sein mag, die USA jedenfalls definieren einen neuen Typus globaler Rolle und geben dabei Europa eine unbedeutendere Rolle. Die Gründe für diese Entwicklung haben nichts mit dem Verteidigungshaushalt oder militärischen Interventionen zu tun. Tiefere Ursache ist die wachsende Schwierigkeit, Europa in irgendetwas zu bekommen, was einem strategischen Dialog auch nur ähnlich sähe“
Nachtrag 04.10.2022 Radek Sikorski hat einen Sinn für Insider-Witze über die abstrusen Geschichten, mit denen normalerweise falsche Spuren zu solchen Ereignissen gelegt werden: Das war die Antwort auf diese Frage.
Sikorski scheint sich mit sowas auszukennen. Rein zufällig war er am 22.03.2017 auf der Westminster Bridge in London, als dort ein Attentäter 4 Menschen überfuhr und später einen Polizisten erstach. Sein Video hat Sikorski über Twitter verbreitet:
Hier der Artikel zum Video: „Sikorski, a senior fellow at the Harvard Centre for European Studies, says he saw at least five people lying on the ground after being ‚mown down‘ by a car“ – „Sikorski, leitendes Mitglied am Harvard Centre für Europäische Studien, sagt, er habe mindestens 5 Personen am Boden liegen sehen, nachdem sie von einem Auto ‚umgemäht‘ worden waren“
Nachtrag 17.10.2022 Zur polnischen Verbindung gab es heute auf dem Parteitag der Grünen brandaktuelle Informationen:
Gestern war zwar ein (weiterer) schwarzer Tag für die deutsche Energieversorgung (Fortsetzung der Serie über frühere schwarze Tage kommt), aber es war ein wirklich großartiger Tag für mein Blog: Der große Rumms in der Ostsee und der polnische EU-Abgeordnete und Ex-Verteidigungsminister Radek Sikorski (siehe Tweet oben) haben viele und wichtige meiner alten Blogbeiträge einfach und ’schlagend‘ bestätigt.
Gehen wir die Liste doch einfach mal durch und haken ab, was ich zwar mühevoll und langsam dem Nebel in den Medien abgerungen, aber jetzt in einem großen Bündel (ein Mal mehr) bestätigt bekommen habe:
Nordstream war ein Riesenproblem
für die Amerikaner, nicht erst 2022, sondern schon 2019 (und früher):
Pipeline zur Hölle: „welche Gründe es für die Existenzangst von Angela Merkel geben könnte“
Ein gutes halbes Jahr später bestätigte diese Vermutungen der scheidende US-Botschafter Richard Grenell. Wahre Worte zum Farewell: „Sie machen einen großen Fehler, wenn Sie denken, der amerikanische Druck sei vorbei. Sie kennen die Amerikaner nicht… Sie wollten immer, dass ich aufhöre, öffentlich zu fordern, dass Sie Ihre Verpflichtungen gegenüber der NATO bezahlen und Nordstream 2 beenden. Aber das ist US-Politik.„ Und das war natürlich eine relevante Aussage und, wie Grenell richtig gesagt hat, wurde sie nicht vom bösen Trump, sondern von der Regierung des netten Herrn Biden umgesetzt.
Merkel hat(te) Grund zu Zittern
Im Jahr davor hat die Regierung Merkel im Wesentlichen dieselbe Botschaft nicht vom rüpelhaft direkten Richard Grenell, sondern über den SPIEGEL vom (Zufall) selben Biden bzw. „seiner Beraterin Julianne Smith“ erhalten. Apokalyptischer Tritt in den Hintern: „Und der Blick in die Finsternis ihres Gesichts sollte allen den Ernst der Lage deutlich machen. Das ist die letzte Warnung: nach ihr kommt nur noch die Finsternis!„ Die Finsternis (kein Gas) ist jetzt da.
Wenige Wochen danach hat Angela Merkel, ausgerechnet neben Selenskij, erstmals furchtbar gezittert. Die Botschaft lastete (verständlicherweise) auf ihr. Die Medien erzählten überwiegend nur irreführendes Zeug über die Gründe. Auf meinem Blog gab es die Suche nach den wirklichen Hintergründen: Das Große Zittern. Die war dann Ende desselben Jahres 2019 (s.o.) so ziemlich am Ziel: es gab Gründe, sie waren so ernst, dass Merkel zitterte, und heute sterben viele Menschen in einer Finsternis, die 3 Jahre zuvor schon angekündigt war.
Und für Merkel hört das Zittern nicht auf, denn während es vor 3 Jahren noch nicht einmal möglich war, in deutschen Medien seriös nach den Konflikten hinter dem Zittern zu fragen (Es war nur „Wassermangel“), muss Angela Merkel heute befürchten, in denselben Blättern bald alleine an allem schuld zu sein.
Das Deutsche Europa – Untergang im Energiemangel
Und die tiefen Hintergründe, hinter dem, was heute ausgerechnet der „russophobe“ (Todd) polnische Ex-Verteidigungsminister Sikorski bestätigt gab es 2017 schon auf diesem Blog, in einer dreiteiligen Übersetzung aus einem Interview im Sommer 2014 aus Anlass der Ukraine-Krise desselben Jahres:
Karte von E. Todd mit Northstream und der Rolle der Staaten
Mit der Sprengung von Northstream wurde auch das Deutsche Europa gesprengt.
Und Todd hatte auch das im selben Interview vorhergesagt. Ein deutsch-amerikanischer Konflikt: „Wenn man die Hypothese eines guten strategischen Einverständnisses und einer starken Zusammenarbeit macht, könnte der Westen die russische Wirtschaft besiegen. Vielleicht… Aber es gibt auch noch China, Indien, Brasilien, die Welt ist groß… Man muss also etwas ganz Anderes ins Auge fassen für die kommenden 20 Jahre als den Ost-West-Konflikt: der Machtzuwachs des deutschen Systems legt nahe, dass die USA und Deutschland auf einen Konflikt zulaufen„
Dieser Konflikt hat sich zwischen 2014 und 2021 abgespielt und ist nach 8 Jahren klar entschieden: das Deutsche Europa ist beseitigt, sein Zentrum ist auf dem Weg desindustrialisiert und ein Armenhaus mit Energiemangel zu werden.
Wie gesagt waren diese Dinge eigentlich schon länger ziemlich klar auf diesem Blog, aus sehr diversen internationalen Quellen „angelesen“, aber es ist doch schön, wenn sie von einem offiziellen und wichtigen Player abschließend bestätigt und danach nur noch von deutschen Medien speziell für gutgläubige Landsleute geleugnet und verschwurbelt werden: die Suche nach dem Täter ist nämlich sehr, sehr mühsam, besonders im Deutschen Fernsehen. Sonst müsste man sich ja fragen, wie das alles passieren konnte, was Angela Merkel damit zu tun hat, die immer beste Beziehungen zu den USA pflegte und bald vielleicht schon an allem schuld sein wird, auf Platz 2 hinter Putin natürlich.
Nachtrag 29.09.2022 Interessante Feinheiten: manche behaupten, polnische Spezialkräfte hätten die Sprengung nur mit amerikanischer Hilfe ausgeführt. Der polnische Regierungschef Morawiecki habe sie genehmigt und wolle diskret im beginnenden Wahlkampf die Früchte davon ernten. Radek Sikorski wolle gegen ihn im Wahlkampf antreten und habe deshalb mit diesem Tweet den Ruhm stärker auf die Amerikaner zu schieben versucht, statt ihn seinem Rivalen zu überlassen. Dieses Ziel könnte erklären, warum er denjenigen (vor allem in Deutschland), die ein Beteiligung der USA leugnen wollen, ein solches Ei gelegt hat, das sie so alt aussehen lässt. Sikorski ist mit Anne Applebaum verheiratet, diese wiederum ist eine Außenpolitik-Kolumnisten aus dem Kreis der US-Demokraten. Anne Applebaum hat im Dezember 2018 ein Stück geschrieben, das im Groben die Botschaft enthält, die im Finsternis-Titel des SPIEGEL im Mai 2019 enthalten war: „Die Deutschen müssen auch den nächsten Schritt im Auge haben…Noch bekennt sich die Nato zu Deutschland„. Das war die Warnung für Deutschland nach Merkel, unverschlüsselter als im SPIEGEL und extrem gut passend zu den Vorgängen des Jahres 2022. Julianne Smith war kein Pseudonym für Anne Applebaum, auch wenn sie sehr ähnliche Ideen haben. Smith wurde im Juni 2021 US-Botschafterin bei der NATO, hielt sich in den Jahren davor u.a. in Berlin auf, um ihre Ansicht zu verbreiten.
Annalena Baerbock gilt vielen als dumm, sehr dumm sogar. Gerade in technischen, besonders energietechnischen Fragen glänzt sie immer wieder mit Nichtwissen oder Falschverstehen auf erlesenem Niveau. Dieser Beitrag will den Blick zurücklenken auf eine Episode, in der sie nach der Ansicht des Autors sehr schlau agiert hat. Dabei wurde ihr damals ihre öffentliche Äußerung auch als sehr dumm ausgelegt:
Es ging vor gut 3 Jahren um Angela Merkels (eigentlich) erschreckende Zitteranfälle. Annalena Baerbock erklärte, die kämen auch vom Klimawandel: „Auch bei der Bundeskanzlerin wird deutlich, dass dieser Klimasommer gesundheitliche Auswirkungen hat“
Diese besonders merkwürdige war nur eine von vielen unsinnigen Erklärungen, die einer rationalen Analyse niemals standhielten, wie ich damals schon in einem Blog-Beitrag beschrieb:
Ganz schön doof von Baerbock, oder? Ich denke: Nein!
Was war denn da genau mit Z.?
Schauen wir uns doch mit eigenen Augen nochmals die schlimme Szene an, wie Merkel an jenem 18.6.2019, einem Dienstag, ganze 10 Tage vor Baerbocks öffentlicher Erklärung, zitterte:
Merkel zittert. Neben wem?
Merkel zitterte nicht nur, sondern sah auch an Gesicht und Haaren sehr schlecht, sehr malad aus. Die Höchsttemperatur in Berlin an jenem Tag betrug übrigens nicht mehr als 30°C. Das Video zeigt auch einige Personen in der Umgebung die sehr interessiert und besorgt auf die Kanzlerin schauen. Der wichtigste Punkt aber ist die Person neben Merkel: der neue Präsident ausgerechnet der Ukraine, Wolodymir bzw. Wladimir Zelensky, war zum Antrittsbesuch gekommen. Zufälle gibt’s!
So eine Kanzlerin weiß deutlich mehr als unsereiner, z.B. über Konflikte im Hintergrund und über Risiken und Krisen, die in den nächsten, sagen wir 2-3, Jahren virulent werden könnten. Zelensky war übrigens nicht Merkels Favorit bei der Wahl im April 2019 gewesen. Der Spiegel hatte sogar über eine Einmischung in den Wahlkampf zugunsten des Amtsinhabers Poroshenko spekuliert: „In kaum einem Konflikt hat sich die Kanzlerin so engagiert wie in der Ukraine…Poroschenko war in all dem Chaos Merkels Gesprächspartner und Fixpunkt in Kiew. Mischt sich Merkel mit dem Empfang des Präsidenten nun in den ukrainischen Wahlkampf ein?„
Und nun stand Angela Merkel neben Zelensky, den sie mit soviel Einsatz verhindern wollte – und zitterte wie Espenlaub. War die Angst vor der Zukunft so groß? War diese Angst aus heutiger Sicht nicht sehr berechtigt, Merkel also sehr hellsichtig – vom (heutigen) Ende her denkend? Dachte Merkel vielleicht sogar an die scharfe Warnung ebenfalls im SPIEGEL, die ihr im Namen des künftigen, ups, heutigen US-Präsidenten Joe Biden genau einen Monat früher zugestellt worden war:
Eine treffsichere 3-Jahres-Prognose!
So ist es ja auch gekommen. Ich hatte den SPIEGEL-Titel damals (aus heutiger Sicht wohl ganz gut) verstanden als:
Solche Gedanken lagen damals natürlich den meisten Menschen fern. Und das sollte auch so bleiben. Deshalb ventilierten Medien absurde Erklärungen für Merkels Zittern: alles außer die nackte Angst war als Erklärung akzeptabel. Und Annalena Baerbock steuerte ihren Teil dazu bei: „Der Klimawandel ist schuld“. Das war so schön absurd. Da konnte man sich so wunderbar aufregen über Baerbocks Geschwätz und von der ganz offensichtlichen Dramatik in Merkels psychischem Zustand ablenken lassen. Baerbocks Beitrag war sehr wertvoll, sehr schlau. Den könnten sich sehr schlaue Leute ausgedacht haben, damit das Eigentliche in Vergessenheit geraten konnte: Die angedrohte, sich ankündigende Finsternis.
Kreise schließen sich
Auf dem Foto von Baerbocks Auftritt vor der Bundespressekonferenz sind noch zwei Herren links und rechts zu sehen: Winfried Kretschmann hat sich seither als Corona-Hardliner profiliert. Und von Corona führen schon von Anfang auch personelle Spuren in die Außenpolitik. Toni Hofreiter, Ex-Kriegsdienstverweigerer, hat sich in diesem Jahr besonders prominent für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine eingesetzt.
Im rechten Teil des politischen Spektrums hat niemand Merkels Zittern mit dem Klimawandel erklärt, sondern wahlweise mit ihrem Hass auf Deutschland oder ihrem schlechten Gewissen, die beide durch das Abspielen der Nationalhymne aktiviert worden seien, auch bei den beiden späteren Wiederholungen dieses Zitterns. Die Wirkung solcher Erklärungen lenkt ähnlich wie die von Baerbock ab vom Blick auf das Eigentliche, der existenziellen Angst von Angela Merkel vor dem, was sie da schon kommen sah. Wenn das so ist, war die Intelligenz von Angela Merkel in den Wochen von 2019 sehr groß und nicht mit der Schläue von Annalena Baerbock zu verwechseln.
Haben Sie sich auch schon einmal gefragt, was es bedeutet, wenn hochrangige Politiker sich treffen und über „Klimaschutz“ sprechen und sich dafür auch noch viel Geld in die Tasche stecken?
Auffällig ist zunächst, dass schon im Titel ein kurzfristig eminent wichtiges Thema wie der Krieg in der Ukraine und der scheinbar langfristige Klimaschutz gleichberechtigt nebeneinander stehen. Im ganzen Artikel laufen beide Themen ständig nebeneinander her, als ob beide ganz eng zusammenhingen. Aber in Klimafragen ist man sich einig, in der Bewertung des Krieges dagegen zögernd. Nun, Scholz und Deutschland sind in der Bewertung des Krieges nicht zögernd, seit Wochen gibt es kaum ein wichtigeres Thema und es wird kräftig bewertet. Zögernd ist also Indien, und es weigert sich, Russland zu verurteilen, auch in der UN. Und das ist ein Problem:
Und es fließt (deshalb) auch kräftig Geld von Deutschland an Indien: 10 Milliarden in 10 Jahren – für die Klimaschutz-Anstrengungen Indiens. Was sind diese Klimaschutz-Anstrengungen? Indien verbraucht pro Kopf sehr viel weniger Öl und Gas als Deutschland, seine Bevölkerung wächst schneller als die Chinas: wobei und wie soll es sich (mehr) anstrengen? Modis primäre Herausforderung besteht darin, das oft unterschätzte Riesenland mit dem zu versorgen, was es zum Leben braucht.
Indien kauft billig russisches Öl
Weil Russland weniger Öl in Europa verkaufen kann, verkauft es mit Rabatt (auf den stärker gestiegenen Ölpreis, also immer noch mit mehr Gewinn) an Indien:
Und Indien lässt sich die Chance nicht entgehen, für seine riesige, oft energiearm lebende Bevölkerung an günstigere Energie zu kommen, die für andere Staaten kaum noch erschwinglich ist. Im Ergebnis kauft Indien mehr Öl von Russland als vor dem Krieg, nämlich viel von dem Öl, das andere Staaten weniger kaufen:
Die europäischen Verbraucher zahlen jetzt aber erheblich mehr für Öl und Gas
Weil Indien jede Wirkung der Sanktionen zunichte machen könnte, zahlen ihm europäische Regierungen, vor allem die deutsche, noch Geld, mit dem Indien Russland für Öl bezahlen kann.
Damit das deutsche Publikum nicht merkt, was da gespielt wird, nennen deutsche Medien das indische Spiel „Klimaschutz-Anstrengungen“ und behaupten, dass die eigene Regierung genau diese „Anstrengungen“ mit Geld unterstützt, und dass man sich genau darin sehr einig ist.
So ist das ein wunderbares Arrangement für viele Beteiligte, aber nicht für den deutschen Steuerzahler, der das Ganze bezahlt (und darüber zunehmend verarmt). So ist das also mit dem Klimaschutz: ein Talking-Point, eine vermeintlich gute Sache, hinter der sich herrlich verstecken lässt, worum es wirklich geht: um Energie-Geopolitik, nicht ums Klima, das die Politik nämlich gar nicht steuern kann.
„Klimaschutz“ = Energie-Geopolitik
In einem Beitrag vor 2,5 Jahren habe ich ausführlich auseinandergesetzt, wie und warum sich die Klima-Debatte in den USA in den letzten 15 Jahren gedreht hat, obwohl die „Klimawissenschaft“ wissenschaftlich viel weniger taugt, als man vermuten würde. Hier das Fazit knapp zusammengefasst:
G.W. Bush hat mit dem Krieg im Irak 2003 versucht, die Ölquellen des Mittleren Ostens unter amerikanische Kontrolle zu bringen. In Afghanistan ging es um die Energieverteilung, z.B. mit Pipelines an einem neuralgischen Drehkreuz zwischen Russland, Indien, China und Iran:
als dieser Versuch mit der Niederlage im Irak absehbar gescheitert war, also gegen Ende der Amtszeit von Bush, wurden fossile Brennstoffe böse, weil sie absehbar von anderen kontrolliert wurden. Inzwischen ist die NATO auch aus Afghanistan abgezogen und hat also die Kontrolle über das Drehkreuz auch noch verloren. Iran, Russland, China und Indien können sich dort jetzt über Energielieferungen arrangieren. Der größte Störfaktor für alle vier ist Pakistan, das allein aus diesem Grund wichtiger, aber anstrengender US-Verbündeter bleibt.
In dem Moment, als die Niederlage im Irak absehbar war, kam Al Gore (der von G.W.Bush 2000 um seinen Wahlsieg gebracht worden war, damit die Ölkriege in Nahost überhaupt geführt werden konnten) mit Unbequeme Wahrheit (2006) wieder groß heraus
die Klima-Wissenschaft, die insbesondere von US-Konservativen bekämpft worden war, wurde plötzlich eine unbestreitbare Wahrheit, weil sie benötigt wird, um die sogenannte Klimaschutz-Politik, die Energie-Geopolitik der krachend gescheiterten Öl-Eroberer, dem schlecht informierten breiten Publikum moralisierend zu verkaufen.
Mainstream dackelt hinterher – bisschen spät
In einem weiteren Blogbeitrag vor gut 2 Jahren hatte ich insbesondere die für die Versorgungssicherheit fatale Politik gegen Kohlekraftwerke kritisiert: Energiezukunft statt Klimahysterie Es war einfach klar, dass man zwar auf Kernkraftwerke oder Kohlekraftwerke verzichten kann, aber nicht auf beides gleichzeitig, ohne in eine schwere Energiekrise zu rutschen. Erst unter dem Eindruck der akuten Krise, kommen hochbezahlte Politiker und Medien zur selben Erkenntnis:
Zweifel kann es daran übrigens wenig geben: die letzten heimischen Energieträger wie Braunkohle sind in Zeiten der Energie-Geopolitik goldwert für die Versorgungssicherheit der Bevölkerung und sollten nicht komplett aufgegeben, aber sparsam ausgebeutet werden.
Indien handelt nach seinen Interessen
Noch ein Blogbeitrag von vor 2,5 Jahren hatte mich auf einen Autor und sein Buch von 2010 gebracht, das mir lange vor diesem Krieg die indische Politik verständlich und seine (sehr maßvolle, rationale) Haltung zum Krieg in der Ukraine vorhersehbar gemacht hat:
Der Autor Martin Sieff erklärt darin die indische Politik und ihre Kerninteressen:
Die Versorgung und Entwicklung seiner wachsenden Bevölkerung
Standhalten gegen den (noch) übermächtigen Nachbarn China
Sich nicht für fremde Interessen zum Rammbock und Kanonenfutter gegen China machen lassen (wie es der Ukraine mit Russland passiert ist)
Diese Interessen, schreibt Sieff, habe Indien immer und unabhängig von Regierungswechseln in einer stabilen Wirtschafts- und Militär-Zusammenarbeit mit Russland gesucht, auch über den Zerfall der Sowjetunion hinweg. Gerade weil Russland freundliche Beziehungen zu China unterhält und für China wichtig ist, ist es auch in der Lage, Indien zu schützen und Konflikte mit China vermeiden zu helfen. Außerdem ist Russland kein Verbündeter seines Erbfeindes Pakistan, um dessen Gunst wiederum China mit den USA konkurriert. Das erklärt auch, warum sich die Atommacht Indien mit langfristig guten Beziehungen zu Russland und einer insgesamt ruhigen Außenpolitik am sichersten fühlt und daran festhält. So seien zB G.W.Bushs Versuche, Indien als Truppensteller in den Irakkrieg hineinzuziehen, krachend gescheitert.
Das wichtigste Fazit von Sieffs Buch ist, dass die USA (und Großbritannien) Indien notorisch falsch einschätzen würden wegen der ex-kolonialen, im Grunde aber nicht unfreundlichen Beziehungen zu den Angelsachsen und weil es eine Demokratie ist wie kein anderes Riesenland der Welt. Die indische Demokratie versuche im besten Interesse ihres Landes zu entscheiden und sei dabei moderat, ausgleichend und rational unterwegs. Die letzten 3 Monate deuten stark daraufhin, dass Martin Sieff das alles sehr richtig eingeschätzt hat, die US-Außenpolitiker aber nicht.
Fazit
Die indische Politik scheint Egon Bahrs fast schon berühmtes Zitat sehr genau umzusetzen:
Man könnte Bahrs Ansicht ergänzen: „Es geht auch nicht um Klimaschutz“ Er hat im Dezember 2013, wenige Monate vor dem 1. offenen Ausbruch des Ukraine-Konflikts, als dieses Zitat in Heidelberg gefallen ist, übrigens noch mehr Richtiges gesagt: Sehr hellsichtig, und er dürfte sich mit Helmut Schmidt einige Monate später einig gewesen sein, wo die Lunte brannte.
Nicht berichtet wurde über das, worüber sie mit den Pakistanis verhandelt hat. Erklärungen über afghanische Flüchtlinge dürften eher ein Nebenthema gewesen. Oben hatte ich geschrieben: „Iran, Russland, China und Indien können sich dort (in Afghanistan) jetzt über Energielieferungen arrangieren. Der größte Störfaktor für alle vier ist Pakistan, das allein aus diesem Grund wichtiger, aber anstrengender US-Verbündeter bleibt„ War Baerbock wohl wegen Feminismus in Pakistan oder wegen dieser wichtigen Rolle des Landes?
Nachtrag 27.6.2022 Am 2. Tag des G7-Gipfels gibt es wieder diese Paarung aus Ukraine und Klimaschutz im Gespräch mit den Gastländern Indien, Indonesien, Senegal, Südafrika und Argentinien: „Man versucht Schwellenländer mit ins Boot zu holen in Abgrenzung zu Russland, weil Teile dieser Länder keine Berührungsängste mit Russland haben“ Auch in der Hauptsendung der Tagesschau um 20:00 Uhr ist dieser Punkt mit Indien und Südafrika wieder vertieft worden:
Mit dem G7-Gipfel wäre also erwiesen, dass es sich nicht um eine Marotte der dt. Politik, sondern um eine gemeinsame G7-Geostrategie handelt:
Nachtrag 28.06.2022 Aus Elmau wurde mir ein (offensichtlich nicht ganz offizieller) Videomitschnitt eines Gesprächs zwischen Emmanuel Macron und Joe Biden ansichtig, der sehr klar bestätigt, worüber man leise zwischen den offiziellen Reden spricht: Darüber, wer wann wieviel Öl liefern kann, nicht etwa über Klimaschutz:
Klar verständlich ist vor allem Macrons Aussage, dass die Saudis keine riesigen Kapazitäten haben und in den nächsten 6 Monaten die Lieferungen nur sehr wenig steigern können. Das Video wird unverständlich und endet dann abrupt, als er Biden („Allerletzter Punkt…“) auf seine Haltung zum russischen Öl anspricht. Schade!
Nachtrag 1.9.2022 Indien hat im 2. Quartal 2022 ein Wirtschaftswachstum von 13,5% gemeldet. Dieser Artikel („Die indische Öl-Brücke von Russland zu denen, die es sanktionieren“) schlüsselt auf, um wieviel dafür die indischen Importe von russ. Öl gewachsen sind: „In the April to June 2022 period since shortly after the outbreak of the war in Ukraine (we exclude March as refiners had not yet had time to significantly react), Indian refiners imported an average of 583 kb/d of Russian crude. This compares to just 36 kb/d in 2021.“ Die Produkte, die aus diesem Rohöl raffiniert wurden, flossen hauptsächlich in diese Länder, die Russland sanktionieren: „Of these, the top 5 countries are South Korea, Singapore, the USA, Australia, and the Netherlands„
Das Interview im O-Ton fehlt im ORF-Artikel inzwischen, angeblich „aus rechtlichen Gründen“. Es ist zB hier noch zu finden:
Es geht ziemlich kontrovers bis turbulent zu, worüber im ORF-Artikel nichts zu lesen ist. Man ahnt also, warum es herausgenommen wurde. Dass der Inder nicht spurt, mag für Herrn Wolf und seine Zuschauer eine Überraschung sein, die zornig macht. Die Leser meines Blogs wissen es seit 9 Monaten sine ira et studio (Tacitus): teilweise begründet der Außenminister seine Politik sogar mit genau den Beweggründen, die ich oben aus meiner Kenntnis und Lektüre vermutet und genannt habe.
„Der größte Fehler, den die Russen gemacht haben, war, dass sie uns 8 Jahre Zeit gelassen haben, um uns auf diesen Krieg vorzubereiten“
Weiter oben im Text heißt es: „Ukrainian service members trained at the Yavoriv Combat Training Center in the Lviv region of western Ukraine right up until the Russian invasion in February“ „Mitglieder der ukrainischen Dienste trainierten am Kampf-Training-Zentrum von Jarowiw in der Region Lemberg in der Westukraine bis zur russischen Invasion im Februar„
„[Ukrainian] soldiers are extremely competent and eager to learn the systems that we are providing them“ „Ukrainische Soldaten sind extrem kompetent und willig, an den Systemen zu lernen, die wir ihnen liefern“
Alle drei Sätze aus dem US-Bericht sind gar nicht sehr weit von dem entfernt, was laut ZEIT Wladimir Putin heute am 9. Mai in Moskau gesagt hat:
Im Detail heißt es dort:
„Die Ukraine habe sich aufgerüstet mit Waffen der Nato und so eine Gefahr für das Land dargestellt“
Genau betrachtet sind die Einschätzungen aus der amerikanischen Quelle und Putins Rede sogar zu 100% miteinander vereinbar, wenn man nur berücksichtigt, dass sie von der jeweils anderen Seite der Frontlinie stammen.
Nachtrag 10.05.2022 Der Text, der diesem Blogbeitrag den Titel gegeben hat, wurde seit gestern geändert: An der roten Auslassungsmarkierung fehlt jetzt „a Ukrainian as stating to a U.S. trainer“.
Den Beitrag vom 13. März über Vorwissen und Vorahnungen hatte ich mit dem Podcast von Eva Herman vom 30. Dezember eingeleitet, in dem sie berichtet hatte: „Hohe Alarmstufe für Energieversorgung: Im ersten Quartal 2022 rechnet man mit einem exogenen Schock!
Darin wurde angekündigt, dass Robert Habeck im 1. Quartal Einschränkungen in der Energieversorgung ankündigen würde, wahrscheinlich schon im Januar. Diese Ankündigung hat es jetzt gegeben, allerdings erst kurz vor Ende des Quartals am 30. März
Person und zentrale Inhalte der Ankündigung haben Herman/Popp also drei Monate im Voraus richtig angekündigt. Das ist eine Information, die zu jenem Zeitpunkt in keinem großen und „seriösen“ Medium zu haben war. Neben diesem unbestreitbaren Erfolg verblasst, dass das Timing nur im Groben richtig war.
Für mich noch wichtiger ist ein anderer Aspekt ihres richtigen Vorwissens: Meine Frage war, ob ihre Angabe richtig ist, dass sie ihr Vorwissen von Whistleblowern aus deutschen Ministerien erhalten haben (können). Bundeskanzler Olaf Scholz höchstpersönlich hat diese Frage vor dem versammelten Bundestag am 23. März 2022 öffentlich beantwortet:
Damit ist erwiesen, dass zum Jahresende das von Herman/Popp behauptete Wissen in dt. Ministerien vorhanden war. Und es ist auch erwiesen, dass diese Sanktionen schon vor dem Kriegsbeginn erarbeitet wurden.
Der Artikel lohnt sich und enthält viele interessante Details: – Die Welt befinde sich „am Rande des Abgrunds”, sagte Antonio Guterres – Der Westen fürchtet einen Kalten Krieg mit China, Russland und Iran – Der überstürzte Abzug der USA und ihrer Verbündeten aus Afghanistan schuf eine Lage, in der sich die Bildung ebenjener Allianz beschleunigen könnte
In genau diese internationale Lage hinein konstituierte sich die neue Ampel-Bundesregierung. Man kann davon ausgehen, dass die neue Bundesregierung praktisch von Anfang an mit dem künftigen Kalten Krieg (und den Sanktionen gegen Russland) befasst war. Aber es geht eben weiterhin um etwas viel Größeres als die Ukraine.
Neuer Kanzler, neuer …
Es sei in diesem Kontext daran erinnert, dass sich die letzte sozialdemokratisch geführte Regierung von Gerhard Schröder 1998 fast mit demselben Timing vor dem Kosovokrieg (ab 24. März 1999) konstituierte, der bei ihrem Amtsantritt schon beschlossen war:
Es gab immer Stimmen, die behaupteten, dass der Kosovokrieg mit dem alten Kanzler Helmut Kohl nicht möglich gewesen wäre. Wie das mit dem Ukraine-Konflikt und der alten Kanzlerin Angela Merkel war, werde ich in einem künftigen Blogbeitrag beleuchten.
Familientradition
In dem Merkur-Artikel ist auch der 2017 gestorbene amerikanische Geostratege Brzezinski erwähnt. Wie der Zufall so will, wurde sein Sohn Mark Brzezinski im Sommer 2021 von Joe Biden als Botschafter in Polen nominiert. Er trat sein Amt trotz anfänglicher Ablehnung durch die polnische Regierung zum Jahreswechsel 2021/2022 an, also genau zum richtigen Zeitpunkt, um wirklich in die Fußstapfen seines Vaters zu treten: